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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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zu allen Mädchen vorher, in keiner der üblichen Weisen beeindruckt, machte keine Anstalten, in kichernder oder in ätherisch tiefäugiger, mich stets scheinbar anödender, in Wirklichkeit aber leicht beschämender Ekellust mit dem affektiert überstreckten Zeigefinger die schmissige weißrötliche Zeichnung entlangzufahren, sondern betrachtete sie bloß nickend mit den herabgezogenen Mundwinkeln des kundigen Sammlers, der einen Kauf erwägt, bei dem er das dumme Gefühl hat oder auch nur zum Zwecke des Feilschens vorspiegelt, übers Ohr gehauen zu werden.
    »Gar nicht so übel, das Ding. Weißt du, wenn ich mal groß bin und zu Ende studiert habe, werde ich eine bahnbrechende dreibändige Abhandlung mit dem Titel Der Fetischcharakter des Fetischs schreiben.«
    Dann lachte sie, und weil ich ihren Spaß nicht so recht verstand, beeilte ich mich, in ihr Lachen einzustimmen. Wir lachten hysterisch, uns gegenseitig immer weiter ins Lachen hineinsteigernd, und als unser Lachen endlich seufzend mit der Brandung des Schwarzen Meeres ausrollte und sie mich traurig lächelnd ansah, ahnte ich, dass es gefährlich war, mich weiter auf dieses komische Kind einzulassen. Ich wusste, ich war durchschaut und sie konnte von hier bis zum Ende in einem durchsehen. Natürlich war es nicht so. Sie hatte keine Ahnung, genauso wenig wie ich, wir haben uns verliebt, weiter nichts. Die Ahnung denke ich nur dazu, weil sie viel später zu mir gesagt hat:
    »Jemanden, den man liebt, tranchiert man nicht, man zerlegt ihn nicht, auch wenn du dir anscheinend nichts sehnlicher wünschst.«
    »Ist Ihnen nicht gut, Dr. von Stern?«
    »Äh, wie …? Oh, ich hab Sie gar nicht …«, Referent hat Schwester, die ihm hier zum sagenhaft dritten Mal erscheint, nicht hereinkommen hören. Ich räuspere mich peinlich berührt, weil mir klar wird, dass ich schon eine ganze Weile mit geschlossenen Augen dagesessen haben muss, das eingeschaltete Mikrophon vor dem Mund, wie unser Spitzenamnestiker, der bis spät in den Herbst den ganzen Tag unbeweglich im Garten steht und schmerzlich lächelnd an der immergleichen immerneuen roten Rose riecht, deren Duft er im selben Moment vergisst, in dem er an ihr riecht.
    »… sich nicht wohl, Herr Doktor? Sie sitzen hier jetzt schon seit«, die Schwester schaut auf ihre Armbanduhr, »drei Stunden und zwanzig Minuten. Einfach nur so da. Die Schwester in der Transkription dachte schon, es gäbe ein Übertragungsproblem, weil Sie nur noch so merkwürdige Geräusche durchgegeben haben, so wie wenn man …«
    »Oh ja, verzeihen Sie, ich war wohl etwas zerstreut, hab das Ding angelassen. Na schön«, ich straffe mich, will aufstehen, aber da ist sie schon hinter meinen Stuhl gesprungen und drückt mir blitzschnell ihre Daumen links und rechts neben den obersten Nackenwirbel. Dann greift sie mit Zeige- und Mittelfingern tief in den vorderen Kapuzenmuskel oberhalb der Schlüsselbeine, mir wird vor Schmerz kurz übel und schwarz vor Augen, doch sie fährt in dieser hausüblichen Schultermassage fort, eine der vielen kleinen Unannehmlichkeiten, gegen die man sich hier auf keinen Fall allzu offensichtlich wehren sollte.
    »Mhm ja, danke Schwester, das war gut, sehr gut, vielen Dank, aber ich muss jetzt los, will doch sehen, ob ich dann wenigstens noch die zweite Schicht in der Quallenpest … äh, in der Aquagymnastik schaffe.«
    »Wie Sie meinen, Dr. von Stern.«
    »Ja, und dann werde ich noch mal bei Dr. Tulp vorbeigehen und meinen Mediator kurz checken lassen.«
    »Ja, tun Sie das, Herr Doktor, tun Sie das. Ach je, was für ein Chaos …«, sie bückt sich und fängt an, die Aufnahmen vom Boden aufzusammeln. »Wer hat denn nur schon wieder die Schublade unter dem Drucker …«
    »Lassen Sie nur, Schwester, lassen Sie bitte alles, wie es ist, ich mache das später, es sieht zwar nicht so aus, hat aber schon alles seine Ordnung.«
    »Hm, wie Sie meinen«, sie richtet sich unwillig auf, streicht ihr viel zu enges Schwesternkleid zurecht, blickt noch immer pikiert auf das Chaos am Boden, doch bevor sie weiteren Einspruch erheben kann, mache ich mich kittelschwingend davon.

9.
    Was für ein Glück, dass ich die zweite Poolschicht noch bekommen habe! Jetzt erst mal eine Stunde am Beckenrand vor den armen dicken Frauen, die auch im Wasser keineswegs in ihrem Element sind, im Takt der ohrenbetäubenden Musik herumturnen, ihnen übers Headset die frohen Anweisungen verkünden, come on ladies, die Arme hoch, hoch, hoch! , und dabei alles,

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