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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
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übertragen uns die Rechte an diesem Material. Diese Übertragung auf uns, also auf mich, findet ganz organisch und automatisch statt, einfach indem Sie sprechen. Denn Sie werden das, was Sie mir erzählen, nicht einfach nur erzählen, sondern spielen, Sie werden vor mir agieren, anstatt mir nur zu berichten – genau genommen tun Sie das ja jetzt schon.«
    Ich zwinkere ihr bösartig zu, aber die Attacke geht ins Leere. Sie strahlt mich treuherzig an:
    »Sehr schön, einverstanden – ja, ich bin mit allem vollkommen einverstanden.«
    »Äh ja … gut. Dann lesen Sie sich das alles noch mal gründlich durch,« ich lege den Stapel Papier ordentlich vor sie auf den Schreibtisch, schraube langsam meinen goldenen Füllfederhalter auf, den sie mir schlafwandlerisch abnimmt, noch bevor ich ihn ihr reichen kann, und weise dann in den mir gegenüber auf den Kopf gedrehten Papieren mit dem Zeigefinger auf die entsprechenden Stellen. »Und dann unterschreiben Sie bitte hier, und … hier, und … hier …, und noch mal … hier …, vielen Dank. So, das hätten wir, dann kann ich Sie jetzt endlich untersuchen.«
    Sie greift nach der vor mir liegenden Kappe des Füllfederhalters, schraubt ihn wieder zu, steckt ihn sich in die Brusttasche ihres Hemds und grinst dabei vergnügt:
    »Fein! Wo untersuchen Sie mich? Gleich hier?«
    »Jaja, kommen Sie hier rüber, legen Sie sich auf den Behandlungstisch, bitte. Leider ist er etwas unbequem.«
    »Soll ich mich ausziehen?«
    »Nein, vielen Dank, das ist gar nicht nötig«, Referent richtet Patientin auf dem Behandlungstisch in Shavasana zurecht und lässt dann den Teilchenscanner über die Fernbedienung langsam wie einen riesigen silbernen Rochen von der Decke herabschweben, bis er eine Handbreit über der Patientin mit einem kleinen geräuschlosen Zittern zum Stehen kommt und seine Flügel zu einer geraden Fläche ausbreitet. »Die Maschine erledigt das auch so.«
    Patientin rotiert Kopf vorsichtig unter dem Lesegerät in Richtung des Referenten, öffnet die Lippen und schließt sie wieder, ich beuge mich mit auf den Oberschenkeln gestützten Händen zu ihr herab, lege den Kopf seitlich, als wolle ich mich auf einem Kissen in der Luft neben sie legen, und sie zwinkert mir zu:
    »Na, da haben Sie ja noch mal Glück gehabt, Herr Doktor.«
    »Na, das sehe ich aber ganz genauso.«
    Leise lachen wir uns gegenseitig ins Gesicht, und für heute sind wir beide noch mal davongekommen.

7.
    Aufnahme längst wieder leer, Referent sitzt unbeweglich am Schreibtisch, starrt über den in seinen Händen leicht angehobenen Scan hinweg auf die Tür wie ein alter Nachrichtensprecher, der auf sein Zeichen wartet, und hört zu, wie die Aufnahmen, die noch immer, eine nach der anderen, aus dem Drucker fallen, leise neben ihm zu Boden sinken und dort, so leicht und glatt sind sie, mit einer kleinen Wellenbewegung noch ein paar Zentimeter über ihn hinweggleiten, bevor sie sich endgültig tot stellen.
    Vorschriftsmäßig werde ich sie alle gründlich studieren und erst dann meinen Bericht diktieren, obwohl derlei Gründlichkeit in diesem Fall überflüssig ist, da der Befund schon nach flüchtiger Ansehung der ersten Aufnahme eindeutig ist, auch wenn ich ihn freilich nicht verstehen kann. Referent schließt die schmerzenden Augen, massiert sich die Nasenwurzel, reißt die Augen dann wieder auf und betrachtet das Bild erneut.
    Patientin leidet unter keinerlei parasympathischer Abnormität, ja unter überhaupt keiner Anomalie, und noch vor ein paar Jahren hätte ein solches Bild einen Arzt dazu hinreißen können zu behaupten, der Patientin fehle überhaupt nichts. Aber das ist selbstverständlich eine unsinnige Vorstellung, denn schließlich gab es damals solche Bilder noch nicht, Bilder, die keine Abbilder mehr zu sein scheinen, da sie gar keine Ähnlichkeit mit den vom Gerät abgetasteten Körpern erkennen lassen. Das Gerät versteht es, den Körper vollständig zu lesen und das derart Gelesene, diesen an sich nichtssagenden oder zumindest unlesbaren Text, wiederum in Bilder zu übertragen, die dem Laienauge zwar als planloses Gewirr manisch sich kreuzender Linien und Farbflächen, wie die missglückten Teppichmuster eines betrunkenen Webers erscheinen, die uns Referenten hingegen wie eine Partitur lesbar sind, mit der man den stummen Körper zum Singen bringen kann. Ich versenke mich in den Anblick des Bildes, und alle Ströme und Unterströme, geheimen Verbindungen, verborgenen Züge werden durchsichtig

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