Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Meier
Vom Netzwerk:
sollten wir …«
    »Was steht da noch in diesen Papieren über mich?«
    »Wie bitte?«
    »Die Diagnose lautet paradefizitär, ist das alles?«
    »Reicht Ihnen das nicht?« Referent lächelt mit sanfter Strenge, und seine Ironie scheint mir seltsamerweise von aufrichtigem Mitgefühl gespeist. »Als ich sagte, dass man mit einem Paradefizit prinzipiell recht beschwerdefrei leben kann, meinte ich damit keineswegs, dass es sich um eine Bagatelle handelt, Ihnen fehlt immerhin ein entscheidender Teil des afferenten Nervensystems, das ist ja nicht so, als würde Ihnen nur ein Bein fehlen oder ein Arm, auf das oder den Sie notfalls auch …«
    »Jaja, das habe ich schon verstanden«, sie schüttelt gereizt den Kopf und für eine wolkige Sekunde erinnere ich mich wieder, wie sich ihr Haar anfühlt. »Aber erstens sagten Sie doch vorhin, diese Diagnose sei bisher nichts als Spekulation und zweitens wüsste ich gern, ob da noch was steht.«
    »Tja, offen gestanden sind diese Papiere vertraulich«, ich weiß nicht, warum Referent diesen Unsinn erzählt, Papiere sind hier niemals vertraulich. »Sie sind ausschließlich für den behandelnden Arzt bestimmt und nicht …«
    »Was steht da noch?« Sie lächelt jetzt wieder liebenswürdiger und nur etwas müde. »Sagen Sie es mir bitte!«
    »Also schön, hier steht, dass Sie über eine nur mangelnde Gesundheitseinsicht verfügen«, Referent blättert unnötig lang in den lumpigen vier Seiten herum. »Ja, hier, da haben wir’s: keine vertiefte Gesundheitseinsicht .«
    »Das ist das eigentliche Problem, wie?«
    »Naja, so würde ich das nicht …«
    »Sagen Sie’s mir, ich will’s wissen, es hilft mir überhaupt nichts, mich zu schonen.«
    »Es ist nicht ganz unproblematisch, ja, das will ich Ihnen zugeben.«
    »Hm.«
    »Hm.«
    Wir nicken einander zu, sehen uns lange schweigend an, irritierend eindrückliche Simulation von Auge in Auge, und plötzlich verschwindet der Raum, es ist ein südlich heißer Morgen, wir sind gerade aufgestanden, sitzen uns auf der Terrasse an dem kleinen Holztisch gegenüber, sie hat die Knie unters Kinn gezogen, und alles scheint gesagt, aber wie immer in diesem Tableau will einer von beiden einfach nicht verstehen. Falls es ein Trick ist, und was sonst sollte es sein, verdient er all meinen Respekt, den Respekt des langjährigen Arztes und Referenten, der glaubte, an diesem Hause bereits mit allen erdenklichen Luftspiegelungen gequält worden zu sein.
    »Das verstehe ich nicht«, sie schüttelt den leicht nach vorn gebeugten Kopf, und ich blicke scharf einatmend aus dem Fenster. »Das ist mir ganz unerklärlich, ich meine, ich war nie unvernünftig, habe nie ungesund gelebt, außer … na gut, aber wissen Sie, Herr Doktor, ich habe wirklich immer versucht, ich selbst zu sein, wirklich.«
    »Bitte, machen Sie sich keine Vorwürfe, es hat in aller Regel nichts mit der konkreten Lebensführung zu tun, jedenfalls nicht im direkten Sinn, nicht einmal Erbanlagen sind hier ausschlaggebend. Es ist, so grausam das klingen mag, oftmals bloßer Zufall.«
    »Zufall? Bloßer Zufall – Gott!«
    Sie wirft den Kopf mit einem kurzen, sarkastischen Auflachen in den Nacken, wie es sich an dieser Stelle gehört, und für einen Moment fürchte ich, sie könnte zu weinen anfangen, aber natürlich weint sie nicht, dann wäre sie es wirklich nicht, alles könnte sie hinkriegen, aber das nicht. Aber was weiß ich schon, was man in zwanzig Jahren da unten so alles lernen kann. Zu meiner Zufriedenheit nimmt sie sich sofort wieder zusammen und fragt mich fast heiter:
    »Was kann man dagegen … ich meine, was können Sie tun?«
    »Nun, in erster Linie, das war das, was ich Ihnen bereits vorhin sagen wollte, sollten Sie neben der Arbeit an Pranayama eine strenge Laufkur einhalten, dreimal täglich, wie alle hier, trotz Ambulanz werden wir das schon hinkriegen, und dann würde ich Ihnen gern etwas Stimmenhören verordnen.«
    »Stimmenhören?«
    »Ja, Sie liegen ganz lauschig in einem Bett vor dem Sprechsaal, und dann werden wir Ihnen Ihre Stimme ein paarmal wiedergeben.«
    »Tut es weh? Ist es schwierig?«
    »Nein, gar nicht. Zwei, drei Sitzungen, und Sie haben den Bogen raus. Wie man in den Saal hineinruft, so schallt’s heraus, und sowie es aus dem Saal schallt, ruft man wieder hinein und immer so weiter. Sie werden sehen, es ist gar nicht schwer, aber sehr effektiv.«
    »Ah ja?« Sie lächelt wieder unangenehm ironisch. »So einfach ist das? Ich habe schon vom Stimmenhören

Weitere Kostenlose Bücher