Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
herüberlächelt, ohne dass sich erkennen ließe, ob dieses wippende Nicken Ausdruck höflichen Interesses oder gar verständiger Zustimmung ist, oder ob es fleißige Übertünchung ihres Nichtzuhörens ist oder nichts von alledem, sondern bloß eine Verstärkung ihres üblichen leichten Kopfwackelns, verursacht dadurch, dass es ihr im freien, lehnenlosen Sitz auf der Bank ein wenig an Halt mangelt.
Referent versucht, nicht mehr zu den beiden hinüberzusehen, um seine Verstimmung nicht weiter zu verstärken, sitzt nun ebenso nutzlos am Tisch wie Hugo Rapins Pfleger, dem diese bar daliegende Nutzlosigkeit äußerst peinlich zu sein scheint, denn er blickt sich in der nervösen Hoffnung um, es mögen noch andere Tische patientenverwaist sein, findet keinen und macht daher jetzt ungelenke Anstalten, sich in Konversation mit Referent zu retten. Um ihn daran zu hindern, denn schließlich möchte ich mich oder eher meine Nutzlosigkeit nicht mit seiner gemein machen, trommle ich den Takt der Musik auf das Tischtuch und betrachte dabei bewundernd meine bildschön manikürten Arzthände.
»Was die sich immer zu sagen haben, was?«
»Wie meinen Sie, Pflüger?«
»Die Patienten meine ich, was die sich so alles zusammenreden, wenn der Tag lang ist!«
»Hm.«
»Weiß der Himmel, was sie nur reden!«
»Das ist ihr gutes Patientenrecht, oder nicht? Wir können froh sein, wenn sie überhaupt miteinander sprechen wollen. Schauen Sie sich um, die meisten reden nur mit ihren Referenten. Dabei wäre ihre Interkom schließlich ganz in unserem, im therapeutischen Sinn, wenn ich Sie daran erinnern darf, Herr Pflüger.«
»Jaja, nur was zum Teufel sollen sie schon groß reden!«
»Verzeihen Sie, mein Lieber, aber ich glaube, Sie sollten etwas auf Ihre Sprache achten.«
»Oh entschuldigen Sie, Herr Doktor. Ich wollte mich nicht im Ton –«
»Gut, dann tun Sie’s auch nicht.«
»Verzeihung, ich habe mich nur gefragt … äh interessiert gefragt, worüber sie sich wohl unterhalten mögen. Rapin hier zum Beispiel, er kann ja über nichts anderes als über Eiweiß sprechen, der Ärmste. Haben Sie gesehen, was für einen komischen Knubbel er schon wieder am Hinterkopf hat, Herr Doktor?«
»Selbstverständlich, aber das sind nun einmal unvermeidbare Nebenwirkungen, wir können leider Gottes seinen Anabolismus nicht gänzlich unter Kontrolle bringen – bricht es nicht hier aus, bricht es an einer anderen Stelle aus.«
»Er hat auch am ganzen Oberkörper diese –«
»Mein lieber verehrter Herr Pflüger«, Referent stöhnt müde gereizt, »glauben Sie nicht, wir würden diese Superfötationen unterbinden, wenn wir könnten? Sie wissen doch, das sind Anpassungsschwierigkeiten, und dass sie vorübergehen, ist manchmal nur ein schwacher Trost, ich weiß, aber so ist das nun mal, manch einem wächst ein zweites Bewusstsein, einem anderen wächst das Eiweiß über den Kopf, wir müssen alle lernen, mit unseren Gestalten zu leben, nicht wahr?«
»Ja natürlich, entschuldigen Sie, ich wollte gewiss nicht meine Kompetenzen überschreiten –«
»Gut, dann tun Sie auch das nicht!«
»Natürlich, natürlich, nur …«
»Was denn noch?« Referent schon wieder zu laut, die Turnzwillinge Ada und Ardor am Nebentisch drehen uns schon neugierig ihre mit goldenen Haarspangen übersäten Lockenköpfe zu, beeilt sich daher, Pfleger anzulächeln und versöhnlicher, leiser weiterzusprechen: »Was war es, das Sie sagen wollten?«
»Ich fragte mich nur, ob es nicht vielleicht … unter Umständen sein könnte, dass er zu viel läuft?«
»Nein, wir können seine Auswüchse nur durch das Laufen einigermaßen unterbinden, lassen Sie ihn noch weniger laufen – er läuft ja schon viel weniger als alle anderen seiner Altersklasse –, und seine Eiweißproduktion gerät völlig außer Rand und Band, nach spätestens drei Monaten hätten wir einen Exitus wie aus dem Lehrbuch.«
»Ja natürlich, ich verstehe. Es tut mir nur so leid für ihn, dass diese Auswüchse sich in seinem Fall zu allem Überfluss, also vielmehr trotz allen Überflusses, so wenig männlich … äh, ich meine androgen gestalten, all das Eiweiß für nichts und –«
»Hören Sie gefälligst auf, solch reaktionären Unsinn zu reden! Es tut Ihnen leid!« Zwillinge starren Referent jetzt unverfroren an. »Als ob das Eiweiß sein Schicksal wäre! Rapin muss nur noch zwei Jahre laufen, dann kann er in ein integriertes Gestaltprogramm aufgenommen werden, also setzen Sie ihm nicht in den
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