Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
haste bis in den nächsten Parallelflur und komme erst vor der Tür des Professors atemlos zum Stehen. Durch das Glas beobachte ich, wie er im mild orangefarbenen Schein seiner Nachttischlampe im Pyjama auf seiner Bettkante sitzt und mit hängendem Kopf vor sich hin nuckelt. Ich klopfe gegen die Scheibe, aber er reagiert nicht, und auch als ich die Tür öffne, schaut er nicht zu mir hoch.
»Nanu, Professor, warum sind Sie denn noch nicht im Bett? Ihre Schwester sollte doch längst hier gewesen sein!«
»Ach leck mich doch am Arsch, du dumme Sau!«
»Na, scheint ja alles in bester Ordnung hier, geht Ihnen soweit gut, ja?«
»Bestens, bestens, du dumme …«
»Mhm, das freut mich zu hören, dann kann ich ja wieder gehen.«
»Nein, warten Sie, Herr Doktor!« Erst jetzt hebt er den Kopf und schaut mich flehend an. »Sie können doch jetzt nicht schon wieder gehen, wo Sie doch extra meinetwegen hier rübergekommen sind!«
»N-nein, bin ich nicht, ich war nur zufällig in der Flurgegend, und da dachte ich …«
»Extra zu mir, obwohl Sie heute hier gar keinen Kontrolldienst haben, lieber Doktor! Niemand sonst hier würde das machen, extra zu mir kommen, niemand außer Ihnen!«
»Na, lassen Sie das mal nicht Schwester Ariane hören, die immerhin seit sechs Jahren Tag und Nacht nur für Sie …«
»Ach, ich kann die fette Sau nicht mehr sehen.«
»Sie nehmen sich jetzt sofort zusammen und beleidigen die Schwester nicht länger – mal abgesehen davon, dass Schwester Ariane dünn wie Brühe ist.«
»Und wenn schon«, er zuckt die Achseln und murmelt etwas kleinlauter: »Ich kann sie trotzdem nicht mehr sehen, die fette Sau!«
»Na schön, Schluss für heute, kommen Sie, legen Sie sich hin. Her mit der Flasche, genug genuckelt für heute. So … brav … ist Ihr Kissen gut so?«
»Ach, ist das gemütlich!«
»Ja? Sind Sie schön zugedeckt, Professor?«
»Ja, zugedeckt bin ich schön, bin ich immer sehr schön, das muss man Ihnen lassen, mein Junge.«
»Hm, schön, dann können wir ja das Licht –«
»Und, hat sie die Röcke gehoben?«
»Wer? Was? Ich versteh nicht …«
»Na, die Ambulante!«
»Ach du meine Güte, geht das schon wieder los? Jetzt ist aber mal Ruhe hier, sonst muss ich doch noch die Sonde rausholen!«
Ich will das Licht löschen, aber da greift er mich mit beiden Händen am Kittelrevers und zieht mich zu sich herab – Gott, was dieser alte Mann für eine Kraft hat! Noch nie habe ich ihn aus solcher Nähe gesehen, seine schieferfarbenen Augen und vorbildlich gebleichten Zähne strahlen mich an, die süßliche Opiumrhabarberfahne verschlägt mir den Atem, und wie durch Watte höre ich ihn zischen:
»Ich habe Sie gewarnt, Doktor, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören.«
Endlich löst Referent sich aus Griff des Patienten, gewinnt Kontrolle über sein Prana zurück und kann so, während er Patient zurück aufs Kissen drückt, ruhig sprechen:
»Das wird ein Nachspiel für Sie haben, Professor! Sie bleiben die nächsten acht Tage im Bett, kein Laufen, kein Gemeinschaftsessen, kein Diktat, kein Stimmenhören, keinen GV, keine Bücher, keine Tätowierungen, kein …«
»Das wird vor allem für Sie ein Nachspiel haben, Sie elende Ficksau!«
»Ah ja?«
Demonstrativ gelangweilt zieht Referent Spritze auf, schnipst kurz mit dem Ring aus Zeigefinger und Daumen dagegen, von Referenten und Patienten gleichermaßen geliebte Schmockgeste, unfehlbarer Auslöser für wohliges Patientengewimmer, aber seltsamerweise rollt Patient freiwillig linken Ärmel seines Pyjamas hoch und lächelt brav:
»Was haben wir denn heute Schönes für mich? Scopolamin? Pantopon?«
»Nein«, ich setze ihm die Placebospritze, drücke dann Mittel- und Zeigefinger seiner freien Hand auf den Einstich und beuge ihm den angestochenen Arm. »Keine alten Kamellen für Sie, auch das ist erst mal gestrichen.«
»Sie werden immer mehr aus der Rolle fallen, Herr Doktor, immer mehr!«
»Machen Sie die Faust auf, Professor, die ist vollkommen überflüssig, Sie können sowieso keinen Bluterguss bekommen, weil –«
»Mehr und mehr, Sie werden sehen, Herr Doktor! Und das ist ganz allein Ihre Schuld. Ihre eigene Schuld. Ich will Ihnen mal was sagen: Sie geben keine Milch, Doktor! Nicht einen Tropfen, nicht einen!«
»Hm, na dann …«, Referent löscht das Licht, »gute Nacht, Sie alter Wüterich.«
»Warten Sie, können Sie’s noch mal anmachen, bitte?« Patient plötzlich weinerlich, fasst zittrig nach Handgelenk von
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