Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Kopf, dass er einem leidzutun habe, haben Sie mich verstanden?«
»Jawohl, Herr Dr. von Stern.«
Patientin und Patient kehren zurück an unseren Tisch, kappen damit auch sauber weitere Gesprächsmöglichkeit mit Pflüger, und augenblicklich hat Referent sich wieder im Griff. In die mittlerweile etwas schläfrig gewordene Abendgesellschaft oder zumindest in ihren weiblichen Teil gerät nun affektierte Bewegung, weil Dr. Holm die Terrasse betritt, sich lässig, eine seiner Patientinnen am kleinen Finger hinter sich herziehend, durch die Tischreihen schlängelt und dann seine Schutzbefohlene in einem formvollendet abgeschmackten Tango über die Tanzfläche schiebt. Rapin reibt sich begeistert die Hände, als genösse er es zu frieren:
»Das ist ein Mann, dieser Dr. Holm! Der macht mich echt fertig.«
»Entschuldigen Sie, Doktor«, Patientin sieht mich rügend an, »könnte ich jetzt vielleicht endlich auf mein Zimmer gehen?«
Wir verabschieden uns nicht von unseren Tischgenossen, die ohnehin ganz in die gelangweilten Schiebereien von Dr. Holm vertieft sind. Patientin atmet auf, als Referent und sie wieder im Gebäude sind und über die leeren Flure laufen, in denen nur das freundliche Piepsen und schüchterne Sirren der Geräte zu hören ist.
»Entsetzlich verblödet, diese jungen Leute!«
»Ach, seien Sie nicht so streng, Gnädigste.«
»Wenn Sie sich eine halbe Stunde dieses Geschwätz über das elende Eiweiß hätten anhören müssen, dann wären Sie auch streng.«
»Haben Sie sich ausschließlich über sein Eiweiß so angeregt unterhalten?«
»N-nein, natürlich nicht, aber kaum kommt man mit ihm auf halbwegs wichtige Dinge zu sprechen, kehrt er schon wieder zu seinem dummen Eiweiß zurück, nicht zum Aushalten!«
»Ich muss mir tagein tagaus die verschiedensten Eiweißnöte anhören.«
»Gut, aber das ist schließlich auch Ihr Beruf. Apropos: Habe ich Ihnen vorhin erzählt, dass wir damals, mein Mann und ich, das Brot-und-Butter-Geschäft der Bank übernommen haben?«
»Ja, das sagten Sie. Waren das nicht diese Pfefferminzbonbons? Daran erinnere ich mich noch vage, ich war ja fast noch ein Kind, aber es gab da diese …«
»Ja genau, Freiheit atmen , so hießen sie, in der schönen weißen Blechdose mit dem roten Schriftzug …«
»Ja, ja, ja, jetzt wo Sie’s …«
»Mein Mann hat angefangen mit den hübschen Bändchen für’s Handgelenk, rosa oder blauer Satin, wissen Sie noch: Die ganzheitliche Betrachtung Ihrer Lebenssituation erfordert die Berücksichtigung möglicher Verbindlichkeiten . Bekam man jedes Mal, bei jedem Besuch.«
»Ach ja, natürlich!«
»Ach, es war schon schön! Na, und wir haben uns auch das mit den Tannen ausgedacht!«
»Mit den Tannen? Aber das erzählen Sie mir ein andermal, Sie müssen sich jetzt beruhigen«, ich schließe ihre Tür auf und weise einladend ins Zimmer, doch sie bleibt im Flur stehen und blickt verträumt in den dunklen, aber halb verspiegelten Glashimmel, bis ich sie sanft am Arm ziehe. »Kommen Sie schon, jetzt wird nicht mehr gesprochen!«
»Jaja, ich komm ja schon, nur noch das mit den Weihnachtstannen, bitte!«
»Nein.«
»Na also, die Weihnachtstannen, die gab’s, wenn jemand verstimmt war, weil das Eis oder Ähnliches eingebrochen war, unkalkulierbare Missgeschicke, der Klient war verstimmt, und dann haben wir ihn zum Weihnachtstannenschlagen in den Wald eingeladen, oder zum Fußball oder zum Handball, zu den wichtigen Spielen …«
»Ja, jetzt kommen Sie bitte rein, Sie sind mir zu wach, Sie werden noch schlecht schlafen.«
»Ach, das werde ich sowieso! Die Weihnachtstannen waren immer ein bisschen mickrig, da mussten wir tricksen und …«
»Ja, jetzt ist Ruhe, so, raus aus dem Kleid, so … Vorsicht mit Ihren Haaren, nicht dass Sie in den Nadeln … so, und dann Licht aus, ich gucke in fünf Minuten nach Ihnen, ob Sie brav sind!«
»Ist gut, aber es war wirklich lustig, wie wir das mit den Tannen in die Beratungsprotokolle mit aufgenommen haben, wegen der Ganzheitlichkeit, und der Therapeut, der Sie konzipiert hat, die Protokolle, meine ich – ich kannte ihn, weil ich schon seit ein paar Jahren in seinem Studio trainiert hatte …«
»Ja, Ruhe jetzt endlich!«
»Na schön, dann gute Nacht, Sie Spielverderber!«
»Gute Nacht.«
»Ach warten Sie, Herr Doktor, könnte ich vielleicht jetzt meinen GV bekommen?«
»Wie Sie wollen, aber nicht von mir, ich bin momentan befreit. Soll ich Ihnen jemand anders schicken?«
»Hm, dann überleg
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