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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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Gespenster, entdeckt man, dass Hebel ihnen folgte, bis endlich sie ihn verfolgten.
    Auch sie sind Kästchen.
    Allein, wofür?
    In mancher Geschichte ist das rasch verstanden, manchmal bleibt ein – schöner – Nachgeschmack. Hebels Gespenster verdecken Absichten und weitere Geschichten. Sie sind Türen. Versprechen. Wunschträume der erzählerischen Welt. Eigenartig und auch beängstigend wirkt in Hebels Kalender nicht (wie die Tradition möchte), die Irrealität der sogenannten Gespenster, sondern ihre Über-Wirklichkeit. Ein Fremder erfährt es im Schloss von Schliengen am eigenen Leib. Da sitzen Gespenster im Keller und drucken falsches Geld; es ist selbst eine neue Form von Gespenst. Am Ende forschen die Drucker-Geister aus Metall, Fleisch und Blut Adressen aus und können Postpäckchen versenden. Die neuen Medien lassen grüßen. Hier ist Hebel unvermutet »modern«, seine Spukgestalten überwachen die Objekte ihrer Begierde akribisch. Entscheidend ist der verbotene Blick; er löst Reisen, Sprechakte, Briefe und Geldsendungen aus.
    Schon scheint der heitere Himmel der Aufklärung und des Nutzens die eine und andere atmosphärische Lücke aufzuweisen. Selbstverständlich sind auch Hebels Erzählungen »Medien«. So die heutige Sprache, so der Jargon. Der nichts nützte, enthielte er nicht (doch) einen Gedanken. Sichtbar wird er, wenn man sich Hebels Texte als Postkarten vorstellt: manchmal mit Bild, abgedruckt neben dem Text, oft mit Bildbetrachtungen im Text. Postkarten von früher an heute.
    Dort, wo sich die Erzählungen zum Ende nicht auflösen, wo Beglaubigungen herhalten müssen, damit immerhin ein wenig verankert bleibt, was zunehmend in Mehrdeutigkeiten ausschwingt, dort geht Hebels Kalenderwesen uns heute noch an. Dort wird es literarisch. Der Rheinländische Hausfreund hatte sich der Wirklichkeit verschrieben, wohl wahr. Sein Autor indes wusste: Wie sollte man in dieser »Realität« zurechtkommen, steckte sie nicht selbst voller Imagination?
    So sind seine Erzählungen in doppeltem Sinn »Geschichten aus Wirklichkeit«: was passierte und was erzählt wurde. So werden sie Text: Wirklichkeit und Gewirktes zusammengedacht.
    In aller Schicklichkeit. Ich möchte dieses Wort beim Wort nehmen: geschickt gemacht und in die Zeit geschickt.
    Zu Hebels Zeit waren Nachrichten langsam. Da sticht eine Figur Husaren ab, einen um den anderen, und glaubt, es sei nur einer. Keiner weiß, was nebenan geschieht. Wo man heute von Netzen spricht und tatsächlich überall, wenn man sich die Netze der Leitungen und Strahlen einmal als sichtbar vorstellte, sich eingewoben fände in Fäden, die durch alle Wände reichen, ist Hebels Welt auf noch klare, aber auch gefährliche Weise in Orte und Räume, Einzelheiten und Entfernungen getrennt.
    Ihr Gott scheint seltsam abwesend. Kaum jemals wird er von Hebel entscheidend in Szene gesetzt; tritt er auf, dann als Referenzsystem der Menschen. Sie sind Hebels »Ziel«. 1803, zu Beginn des Kalenderprojektes, ist der Autor 43 Jahre alt. Der Porträtstich im ersten Band einer fünfbändigen Werkausgabe (C. F. Müller Verlag, 1845) zeigt ihn eng eingekörpert in eine Jacke, Tücher schieben sich über den Hals, der darin zur Gänze verschwindet, der Kopf sitzt obenauf, als klebe er auf dem Rumpf. Die Augen klein, ebenso der Mund.
    Dieser Erzähler spielt mit Fiktion. Er nennt sich Hausfreund, teilt, wie er immer wieder einfließen lässt, den Lebensraum des Lesers, droht, bei ihm vorbeizukommen und nachzusehen, ob er den wertvollen Ratschlägen des Kalenders auch folgt. Er reist und sammelt, seit 1811 begleitet von einem sogenannten ›Adjunkt‹, ist Augen- und Ohrenzeuge des später im Kalender Erzählten. Beglaubigungsstrategien scheinen wichtig und werden doch manchmal zurückgenommen. Ein literarisches Spiel um Gerüchte und Wirklichkeiten setzt sich in Gang.
    Der Fremde von Schliengen, er erscheint im Kalender auf das Jahr 1809 unter dem Titel Merkwürdige Gespenster-Geschichte , singt auch davon ein Lied. Kaum bezieht er sein Zimmer im Gespensterschloss, entdeckt er einen in Goldpapier geschlagenen Rheinländischen Hausfreund , der an einem Spiegel hängt. Wenn das nicht deutlich ist. Der kluge Reisende liest. Ob er dabei vielleicht sogar auf die Erzählung stößt, in der er soeben selbst zum Protagonisten wird?
    Vielversprechend liegen seine geladenen Pistolen auf dem Tisch. Brav gespenstisch geht es weiter: Mitternacht, Glockenschlag, Donner, Blitz, Gespenst. Der Reisende will

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