Heimliche Helden
Widerspruch bereits im Verb.
Einer, der von innen an die beiden Wortteile seines Vornamens stieß: ›ein‹ und ›ich‹.
10 Penthesilea. Ein Trauerspiel , Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band 1 , hg. von Helmut Sembdner, München 1984, I, 1, 26 ff.
11 Das Käthchen von Heilbronn , Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band 1 , hg. von Helmut Sembdner, München 1984, III, Anweisung vor dem 7. Auftritt
12 Penthesilea I,1, 29ff.
13 Die Marquise von O… , Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band 2 , hg. von Helmut Sembdner, München 1984, S. 104–143, hier S. 124
14 Die Marquise von O… , S. 126
15 Die Marquise von O… , S. 141
16 Die Marquise von O… , S. 143
17 Die Marquise von O… , S. 105 f.
18 Die Marquise von O… , S. 138
19 Die Marquise von O… , S. 138 f.
20 Die Marquise von O… , S. 139
21 Die Marquise von O… , S. 141
22 Der Griffel Gottes , in: Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band 2 , hg. von Helmut Sembdner, München 1984, S. 263
WILD LIFE
DER EICHENPROZESSIONSSPINNER UND DAS VERGEHEN DER ZEIT
Johann Peter Hebels Kalendergeschichten
Das Kästchen Zeit
Ein Kalender ist ein Behältnis für die Tage eines Jahres – wie man sie verbringt und sich durch sie bewegt. Johann Peter Hebel, Theologe und Pädagoge, interessierter Naturforscher und alemannischer Dichter, setzt sein eigenes Kalender-Tagewerk, den Rheinländischen Hausfreund, 1803 konventionell und überraschend in Gang: Wo, wenn nicht am Himmel, begänne ein neues Jahr? Doch der Himmelsschau folgen Prozessionsraupen. In langen Ketten kriechen sie, Pilgern gleich, durch den Wald, wehren sich, wenn man sie bedroht, streifen ihre Häute ab, um zu wachsen. So erscheint auch der Mensch: Kriecht durch sein Leben, geht aufrecht, liegt danieder, erschrickt, träumt und hofft. Über ihm kreisen die Himmel der Sterne, die er nicht versteht.
Kosmos und Welt umfangen ihn, es umfängt ihn die Zeit. Ihr folgen Natur, Geschichte und Geschichten. Von Beginn an zeigt Hebel, dass die Erde selbst ein rotierendes Kästchen ist, wenn auch sehr rund. Selbst 400 Jahre nach Kopernikus weiß das noch nicht jeder. Ein rundes Behältnis, das sich nicht im konventionellen Sinn öffnen lässt. Die Menschen kleben außen daran, zwischen Krume und Firmament, ganz wie die Waldraupen am Eichenstamm. Dort, im Zwischenraum, sind sie ge- und enthalten.
›Weltgebäude‹ nennt Hebel ihr Haus.
Es ist zugänglich und verschlossen zugleich, kennt Nischen, Winkel, Geheimnisse. Öffnen lässt es sich, indem man erzählt. Schon die ersten Worte des Kalenders, gewidmet dem System der Planeten, Sterne und Sonnen, das Hebel weniger religiös denn progressiv naturwissenschaftlich fasst, bringen uns auf die Spur jenes Themas, das das gesamte Projekt des Rheinländischen Hausfreundes durchzieht. Es ist, im Kern, eine Frage: Wie kann etwas in etwas anderem gefasst oder gefangen sein, bewahrt oder versteckt?
Hebel muss dieses Thema nicht bewusst gesetzt haben. Oft genug steuert einen beim Schreiben und Sammeln (beim besten Schreiben und Suchen), bei selbst Erfundenem ebenso wie beim Horchen darauf, was Menschen sagen, ein Gespenst – eine Leitidee oder ein Gedanke, den man noch gar nicht »hatte«, nicht greifbar oder so, dass man ihn aussprechen konnte, und der gleichwohl von Anfang an alles durchdrang. Später erkennt man es.
Ein Kalender bettet ein. Als eckiges Druckstück liegt er vor dem Leser, ein Kästchen, das sich als Schatztruhe für Tage, Bilder und Texte entpuppt. In ihr möchte Zeit in etwas Haltbares verwandelt sein: Bilder begleiten den Text, der Text das Jahr. Gelebte Tage werden zu Papier; das Jahr vergeht, nur der Kalender bleibt, wie eine Raupenhaut.
Die uns von Wachstum und Verwandlung erzählt.
So wartet er im Haus, von einem Hausfreund gereicht. Er ist Gespräch. Der Rat des dem Haus zugeneigten Herausgebers, den Hausfreund »Kalender vom letzten Jahr« nicht fortzuwerfen, ist kaufmännisch klug – man erhält, so das Versprechen, für sein Geld etwas, das länger währt als 365 Schnelllebigkeiten – und geht über das bloß Merkantile hinaus. Er stellt uns unsere Tage selbst als Kästchen vor Augen. Wir legen unsere Leben hinein.
Tatsächlich gehen Hebels Figuren auffällig häufig schlafen. Sie begeben sich zu Bett, die Erdhälfte ragt in die Nacht, nun setzen die Abenteuer ein. Am Ende legt man unsereins in eine andere Kiste, die man in die Erde schiebt und ihre Dunkelheit.
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