Heimliche Sehnsucht: Mittsommergeheimnis (German Edition)
vorgenommen, erneut das Gespräch zu suchen. Warum also nicht jetzt?
Doch während sie das Café verließ und auf die Straße trat, wo die helle Frühlingssonne sie empfing, wurde ihr klar, dass es ihr in Wahrheit vor allem um etwas anderes ging: nämlich darum, Kristians verstörender Nähe zumindest für einen Moment zu entkommen.
“Mamma!”,
rief sie über die Straße hinweg. “Warte doch!”
Ihre Mutter blieb stehen und wandte den Blick zu ihr. Soweit Linnea es auf die Entfernung erkennen konnte, zeigte ihr Gesicht keine Regung.
Linnea wartete, bis ein Wagen vorbeigefahren war, und überquerte dann die Straße. “
God morgon, Mamma”,
sagte sie, als die zwei Frauen sich schließlich gegenüberstanden. “Wie geht es dir?”
Ihre Mutter erwiderte ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. “Seit wann interessiert dich das?”
Seufzend ließ Linnea die Schultern hängen. Warum mussten alle Gespräche zwischen ihnen immer gleich so beginnen? Es war ja nicht so, dass sie nie etwas hatte von sich hören lassen in den letzten Jahren. Ab und zu hatte sie angerufen, vor allem an Geburtstagen und zu Weihnachten, aber anfangs auch mal zwischendurch. Und nachdem sie – viel zu spät – von Ludvigs Tod erfahren hatte. Doch jedes Mal begannen die Gespräche ähnlich wie jetzt. “Können wir nicht ein Mal vernünftig miteinander sprechen?”, fragte Linnea. “Wie erwachsene Menschen? Wie Mutter und Tochter?” Als ihre Mutter nicht antwortete, deutete Linnea hinüber zur Praxis, aus der ihre Mutter eben gekommen war. “Fehlt dir etwas? Bist du krank?”
Sie schüttelte den Kopf. “Aber selbst wenn – was interessiert dich das? Dass ich deine Mutter bin, hat dich in den vergangenen sechs Jahren nicht gekümmert. Warum also jetzt?”
“Das stimmt doch gar nicht!”, protestierte Linnea aufgebracht. Tief atmete sie durch. Sie hatte ihre Mutter gerade um ein vernünftiges Gespräch gebeten, also sollte sie selbst auch nicht die Beherrschung verlieren. “Ich habe nie vergessen, dass du meine Mutter bist”, fügte sie bedeutend leiser hinzu. “Wie könnte ich auch? Aber du weißt ebenso wie ich, dass ihr es mir damals, ehe ich fortging, nicht leicht gemacht habt, Ludvig und du.”
“Ludvig hat es dir nicht schwer gemacht. Er hat immer versucht, dir ein guter Vater zu sein. Wie konntest du ihn nur so enttäuschen?”
“Er war aber nicht mein richtiger Vater, und das hast du nie begriffen. Er hatte mir nichts zu sagen, und ich konnte nichts dafür, dass er mit Kristians Familie zerstritten war.”
“Du hättest …”
Kristian war hinter Linnea aufgetaucht und legte jetzt beide Arme auf ihre Schultern. Sofort spürte sie, wie sie neue Kraft durchströmte.
“Du wirst deiner Tochter nie verzeihen können, dass sie sich damals gegen dich aufgelehnt hat, nicht wahr?”, ergriff er das Wort. “Ein einziges Mal hat sie das getan, was sie wollte, und du wirst es ihr den Rest deines Lebens vorhalten. Und das nur, weil du nicht den Mut hattest, sie Ludvig gegenüber in Schutz zu nehmen. Gib es doch zu: Du hättest dich über die Hochzeit gefreut. Aber Ludvig nicht, und deshalb …”
“Ach, was mischst du dich denn da ein!” Feindselig kniff ihre Mutter die Augen zusammen und feuerte unsichtbare Giftpfeile auf Kristian, dann auf ihre Tochter ab. “Und jetzt verschwindet, alle beide! Ich will euch nicht mehr sehen!”
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und lief eilig weiter in Richtung Kirche. Wehmütig sah Linnea ihr nach. Wie hatte es nur so weit zwischen ihnen kommen können?
Wütend blickte Kristian seiner Schwiegermutter hinterher. Was bildete sich diese Frau nur immer wieder ein? Nur ungern dachte er daran zurück, wie schwer sie nicht nur ihrer Tochter, sondern auch ihm selbst das Leben gemacht hatte. Hätte sie sich nicht auf die Seite ihres zweiten Mannes geschlagen, sondern auf die ihrer Tochter, hätte die Hochzeit zwischen Linnea und ihm nicht heimlich stattfinden müssen.
Und dann hätten sie zumindest einige Tage wie Mann und Frau miteinander leben können …
Aber warum dachte er über so etwas überhaupt nach? Was hätte ihm das schon gebracht? Schließlich hatte Linnea ihn nie wirklich geliebt, das wäre also auch nicht besser gewesen.
Heißer Zorn loderte in ihm auf, als er daran zurückdachte, wie übel sie ihm damals mitgespielt hatte. Nein, keine Frage, es war besser so gewesen. Wie hieß es doch so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende. So hatte er
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