Heinrich Spoerl
Nichts Besonderes, eine Karte aus Köln, die Rechnung vom Dachdecker, und – weiter nichts. Was guckst du so?«
»Ich? Nein, du guckst.«
Noch kann alles gut werden, überlegt Kempenich. Eine Ladung hat sie offenbar nicht bekommen, sie würde es nicht verheimlichen. Warum auch?
Aber ihm saß doch ein unheimliches Gefühl im Nacken.
Am Montag um halb vier war die Vernehmung. Um drei machte Kempenich sich fertig. Er muß zur Steuer. Sagt er.
Auch Hedwig zieht sich an. Sie will zum Zahnarzt. Sagt sie.
Sie sind beide etwas bedrückt. Es sind keine angenehmen Gänge, Steuer und Zahnarzt.
An der Ecke trennten sich ihre Wege.
***
Der Montag ist kein beliebter Tag.
Montag ist der Tag der schlechten Laune. Man muß umschalten, vom Leerlauf des Feiertags in den großen Gang der Arbeit. Das ist sein Verhängnis, daß er so nahe am Sonntag liegt. Wochenend ist zu Ende. Zu Ende Freiheit, Sport, Ausflug, Erna, Geld. Das Sechstagerennen beginnt wieder, die Arbeitswoche als lästige Unterbrechung der Sonntagsruhe.
Montag ist der Tag der Reue. Man hat einen sanften Moralischen. Man hat zuviel Geld ausgegeben, sich mit der Freundin verkracht, den Elfmeter verpaßt. Man hätte besser – Montag ist der Tag des Hättens.
Montags beschließt man, ein anderer Mensch zu werden. Jeden Montag tut man das. Man kennt sich schon gar nicht mehr aus unter seinen diversen Menschen. Man macht sich klar, daß die Arbeit das Schönste auf Erden ist. Oder wenigstens das Zweitschönste. Diese Philosophie hält bis Dienstag. Am Mittwoch steigen Zweifel. Donnerstag schielt man zum Wochenend. Freitags macht man Pläne, und am Sonnabend sieht man egal auf die Uhr.
Der Montag ist schön, wenn man Ferien hat und daran denkt, wie sich die anderen quälen müssen. Wer ein ausgekochter Schlemmer ist, läßt sich zur gewohnten Stunde wecken, stößt einen schaurigen Fluch aus oder ein entsprechend klassisches Zitat, dreht sich auf die andere Seite und genießt die Wonnen des Wiedereinschlafens.
Man hat daran gedacht, den Montag abzuschaffen. Aber das hat sich als undurchführbar erwiesen. Eine Woche, die nicht anfängt, kann auch nicht enden. Ganz hübsch wäre es auch, wenn die Woche zwei Enden hätte, oder noch besser, wenn man abwechselnd einen Tag Dienst und einen Tag frei hätte. Der Montag wäre dann Dienst-Tag, der Dienstag wäre Frei-Tag, der Mittwoch wieder Dienst-Tag, der Donnerstag Frei-Tag, der Freitag Dienst-Tag, Sonnabend Frei-Tag usw.
Der Montag ist ein dummer Tag. Montags geht alles quer. Er fängt damit an, daß man sich verschläft, sich am Kaffee verbrennt, zu spät ins Büro kommt, eine Nase kriegt. Denn leider haben die andern auch Montag, der Chef, der Vorgesetzte. Sogar die Schreibmaschine ist nicht ausgeschlafen, sie kann auf einmal kein Deutsch mehr und schreibt hartnäckig z statt u und o statt i. Es liest sich wie Tschechisch mit chinesischen Streifen.
Der Montag ist ein respektloser Tag. Nicht einmal vor Behörden macht er halt. Böse Menschen behaupten, daß er dort besonders gut zu Hause ist. Aber ich will nichts gesagt haben.
***
An diesem bemerkenswerten Montag um ein Viertel nach drei steht Frau Hedwig in dem dunklen Gang vor einer abgegriffenen Tür. Sie hat nicht den Mut, anzuklopfen. Aber wenn sie nicht kommt, wird sie vielleicht verhaftet. Mit der Polizei ist nicht zu spaßen. Sie weiß das aus einem Kriminalroman, den sie gelesen hat.
Schließlich holt sie tief Atem und klopft so leise sie kann. Von innen brüllt jemand: »Draußen warten!«
Hedwig setzt sich gehorsam auf die schmale Bank und macht sich ganz klein. Wenn sie hier jemand sieht, wird sie sterben.
Schritte. Der Gendarm bringt einen gefangenen Landstreicher vor den Kommissar. Die Vernehmung ist kurz, aber laut. Wenigstens auf Seiten des Kommissars. Man hört nur wenige klägliche Worte des Missetäters, dafür aber lang und dröhnend die Stimme der Gerechtigkeit.
Nun ist sie an der Reihe. Sie schiebt sich schüchtern durch die Tür und schwenkt ihre Ladung wie eine Friedensfahne vor sich her. »Verzeihung, Herr Kommissar, bin ich hier wohl richtig? Ich bin nämlich geladen, aber das ist alles ganz anders, ich muß Ihnen das erklären –«
Der Kommissar schnauzt nicht. Brüllt nicht. Er ist diensteifrig aufgesprungen, macht eine kurze, zackige Verbeugung, dirigiert sie auf einen Stuhl und ist die Liebenswürdigkeit in Person. Denn Frau Hedwig ist eine hübsche Frau, und sein aktengewohntes Auge läuft wohlgefällig über ihre schlanke
Weitere Kostenlose Bücher