Heinrich Spoerl
anderen Ausweg mehr. »So, und jetzt will ich Ihnen mal die Wahrheit sagen!«
»Werden Sie nicht unverschämt«, warnt der Vorsitzende.
»Unverschämt? Ich soll doch hier die Wahrheit sagen, ich habe das Geld nämlich gar nicht gefunden, das habe ich von einem Herrn im D-Zug bekommen, da werden Sie vielleicht staunen, der lief da im Pyjama herum und wollte meinen blauen Anzug haben –«
»Ach, wissen Sie, gestaunt haben wir schon genug. Beim Finanzamt hatten Sie überhaupt kein Geld, beim Amtsvorsteher war es ein bisschen Nebenverdienst, bei der Polizei wollten Sie keine Auskunft geben, dann haben Sie es gefunden und wissen nicht mal wie viel, und jetzt haben Sie es plötzlich vom großen Unbekannten. Na ja. – Herr Verteidiger, Anträge werden wohl nicht gestellt? Dann schließe ich die Beweisaufnahme.«
Der Geheime Justizrat hat sich geräuschlos erhoben und steht unbeweglich, bis spannungsvolle Stille eingetreten ist: »Draußen wartet eine Zeugin. Sie wird aufklären, woher der Angeklagte das Geld hat.«
Der Vorsitzende bemüht sich, seinen Unwillen zu verbergen. »Aber Herr Geheimrat, das hat er uns doch selber erzählt!«
»Herr Vorsitzender, vielleicht ist es Ihnen im Laufe Ihrer Praxis schon aufgefallen: nicht alles, was Angeklagte erzählen, ist lautere Wahrheit.«
Der Vorsitzende tuschelt zum rechten und zum linken Beisitzer – in der Gerichtssprache nennt man das Beratung – und verkündet: Die Vernehmung der Zeugin wird abgelehnt, das Gericht hält den Fall für genügend geklärt.
»Der Fall mag klar sein«, sagt der Verteidiger. »Aber – Klarheit ist nicht immer Wahrheit.«
Noch ehe der Vorsitzende eine auf gleicher Höhe stehende Entgegnung findet, hat der Geheime Justizrat seine Zeugin kurzerhand in den Saal geholt und in wohlberechnetem Abstand vor dem Richtertisch aufgebaut und erwartet die Wirkung.
Man muß zugeben, die Zeugin ist des großen Justizrates würdig. Schlank, elegant und selbstsicher steht sie im Brennpunkt der Blicke, eine auffallend schöne Frau, wie sie ein kleines Schöffengericht nicht jeden Tag zu sehen bekommt; sie bringt eine Woge von Luxus und großer Welt in den nüchternen, ölgestrichenen Saal und gehört offenbar zu den Frauen, deren Lebenszweck darin besteht, gut auszusehen, und die es gewohnt sind, daß man sie anstarrt.
Knittel weiß nicht, was er davon halten soll. Er revidiert sein Gedächtnis; er hat manches erlebt, als er noch reich war, aber so vornehm war es nie. Und Erika schießt aus dem Zuschauerraum wütende Blitze auf ihn: Wer ist die Person, da hat er nie was von erzählt!
Auch der Richtertisch ist begeistert und fasst sich an seine Krawatten. Der Verteidiger hat richtig gerechnet: Eine schöne Frau ist stärker als ein kluger Gerichtsbeschluss. Man bringt es nicht übers Herz, die Zeugin ungehört wieder hinauszuschicken. Der Vorsitzende legt sein Gesicht in bedeutende Falten und formt seine Stimme zu einem wohltemperierten Bariton. »Gnädige Frau, wollen Sie bitte näher treten?«
Die Zeugin ist mit dem Angeklagten weder verwandt noch verschwägert und über die Bedeutung des Eides unterrichtet. Nun soll sie beginnen.
Der Staatsanwalt ist bereits im Bilde. »Zunächst eine Frage, auf die Sie die Aussage verweigern können. Sind Sie es vielleicht, die das Geld im Zuge versteckt hat?«
Die Zeugin lächelt ein überlegenes Nein. Sie habe in dem Zuge lediglich ein Schlafabteil erster Klasse gehabt und Abends im Speisewagen einen gewissen Herrn kennen gelernt –
»Den Angeklagten?«
»Nein. Einen Herrn.«
Herr ist für das Gericht kein eindeutiger Begriff. Wie heißt er, er wird sich doch vorgestellt haben, was hat er mit der Sache zu tun, kann er als Zeuge erscheinen?
Die Dame schüttelt den Kopf. »Ich bin statt seiner gekommen. Der Herr möchte unter allen Umständen unbekannt bleiben, heute wie damals.«
»Kann ich mir denken«, behauptet der Staatsanwalt und ist schon wieder im Bilde, »dann ist dieser Herr also derjenige, der das Geld im Zuge versteckt hat!«
»Herren meiner Bekanntschaft pflegen ihr Geld nicht zu verstecken«, sagt die schöne Zeugin. »Sie neigen eher zum Gegenteil.«
»Scheint immerhin ein schwerer Junge zu sein, dieser Herr, der das Tageslicht scheut.«
Die Dame hebt die Augen und sieht die Richter der Reihe nach an. »Ich möchte hoffen, meine Herren, daß wir uns alle hin und wieder in Situationen begeben, bei denen wir keinen Wert auf Tageslicht legen.«
Knittel in seinem Anklagebänkchen hat
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