Heinrich Spoerl
Taktteile und zwei Beine, die Rechnung stimmt, es kommt immer richtig aus und ist eine ungeheure Beruhigung für Leute, die auf gutes Auskommen Wert legen.
Der Dreiviertel-Takt bleibe den transzendentalen Schwärmern reserviert. Die Zweiheit der Beine geht in der Dreiheit des Taktes nicht auf, es bleibt ein unerlöster Rest, der in den nächsten Takt hineinspielt, ein lustiger Schwebezustand, der nicht zur Ruhe kommen läßt. Wenn der Zweiviertel-Takt ein gerades Ja ist, dann spricht der Dreiviertel-Takt ein kokettes Vielleicht.
Hier liegt das ewige Geheimnis des Walzers und seine Unbesiegbarkeit. Er wurde zeitweilig durch exotische Importware verschüttet. Er ist wieder da und passt prächtig zu den lang und weit gewordenen Kleidern. Und die Alten tanzen ihn noch, und die Jungen tanzen ihn wieder. Hier versöhnen sich die Generationen, der strebsame Angestellte kann getrost mit der Großmutter seines Chefs durch den Saal schweben. Und keiner fragt, warum.
Straßenbahn
Es war quetschevoll. Sogar die Herren mussten stehen. Ich auch. Und ich hätte so schrecklich gern gesessen. Nicht, weil ich müde war – das bin ich immer, wenn andere sitzen –, sondern weil vor mir ein wonniges Wesen saß, eines jener Geschöpfe, die man malen, bildhauen, bedichten und besingen, am liebsten aber kunstlos in die Arme nehmen möchte. Hätte sie gestanden und ich gesessen, dann hätte ich das unermessliche Glück, ihr meinen Sitzplatz anzubieten. Ich würde mich langsam erheben, eine leichte andächtige Verbeugung machen und artig meinen frühlingsgrauen Hut lüften: »Darf ich mir gestatten, mein Fräulein«, würde ich mit leicht vibrierendem Bariton zu ihr sagen; dann würde sie mir huldvoll zulächeln, mir einen warmen Blick ihrer blanken Augen gönnen, und dann hätte ich die Freude, daß sie sich eben dort hinsetzt, wo ich vor wenigen Sekunden noch gesessen habe. Nun war das nichts. Sie saß bereits, nicht durch mich, sondern sowieso. Ich stand davor wie ein dummer Junge und konnte ihr nichts Gutes tun. – Aber dann kam das Fürchterliche. Ich fühlte plötzlich, wie sie an mir heraufblickt, mich abtaxiert, einen Augenblick zögert. Dann steht sie leichtfüßig auf und sagt zu mir: »Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?«
Ich weiß nicht mehr, was ich getan habe: Aber von diesem Augenblick an weiß ich, daß ich alt bin. Man merkt es nicht und fühlt es nicht. es geht ja auch langsam, jedes Jahr nur ein Jahr, und die anderen sagen einem nichts davon. Bis so ein dummes kleines Mädel einem über den Weg läuft und es einem beibringt, roh und höflich. Nun habe ich meinen blauen Brief, aus der Armee der aktiven Kavaliere bin ich verabschiedet und eingereiht in den Landsturm der alten Herren.
Dieses war der traurigste Tag meines Lebens.
Ich habe mich inzwischen getröstet. Die meisten Menschen sind höflicher, und mit Hilfe ihrer Höflichkeit bleibe ich noch eine Zeitlang jung. Außerdem habe ich jetzt einen Freibrief, in der Straßenbahn sitzen zu bleiben. Ich brauche nicht mehr aufzustehen. Vor keiner nicht. Ich klebe auf meinem Sitz, und wenn der Wagen voller Engel wäre. Ich brauche nicht mehr und tu's nicht mehr. Oder höchstens – aber dann müßte sie schon sehr hübsch sein. Oder sehr alt.
Man gibt sie die Ehre
Eines Tages im Herbst. Es hat sich ausgesommert. Und nun sind wir alle wieder da, körperlich und geistig aufgebügelt und reif für die Lockungen und Strapazen der Großstadt. Wir müssen ja auch was tun, den Herbst und Winter über, daß wir im nächsten Jahr wieder rechtzeitig pflastermüde und sommerfrischreif werden. Der Jahreszeitenwechsel ist eine liebenswürdige und verständige Einrichtung.
Wem aber verdanken wir das?
Wir verdanken es der schiefen Erdachse. Also einer Unkorrektheit im Weltenbau.
Die schief eingehängte Erde ist Sinnbild. Wenn alles mathematisch lotrecht und regelmäßig und genau in Ordnung liefe, wäre die Welt langweilig und nicht zu ertragen.
Über die Schiefheit und andere Unzulänglichkeiten der Welt und ihrer Bewohner kann man einsam grübeln. Man kann auch mit seinen Zeitgenossen darüber plaudern, beim Bier, auf der Straßenbahn. Am besten freilich unter der Flagge: Herr und Frau X geben sich die Ehre. Kultivierte Geselligkeit gibt es nur im Hause. Alles andere ist Surrogat für bequeme Hausfrauen und Junggesellen.
Man kann sich die Ehre auch mündlich oder telephonisch geben. Dann wird sie leicht nicht ernst genommen oder vergessen. Das Einladungskärtchen ist
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