Heinrich Spoerl
sie nicht selber zu hüpfen brauchte. Es ist das, was wir im Variete empfinden.
Wenn andere tanzen, mache ich meine Studien.
Zunächst an den Köpfen. Selig hingegossene Gesichter, wie sie die Dichter dichten und die Maler malen und die Filme filmen, sehe ich selten. Und dann höchstens bei blutjungen Dingern, denen es neu ist, oder bei koketten Frauen, die sich neu stellen. Männer machen nicht in Verzückung. Sie sind zu männlich dazu. Bestenfalls lächeln sie von oben herab oder blicken gleichgültig in die Ferne. Viele tanzen mit tierischem Ernst, rollen die Denkerstirn und sehen aus, als ob sie ihr Manko in der Portokasse nachrechnen. Sie zählen aber nur die Takte.
Noch aufschlussreicher ist die Haltung der Hände. Hände können sich nicht verstellen.
Da ist der Voll-Mann, der das Weib seiner Tanzwahl mit mächtig gespreizter Tatze umfasst und damit Rücken und umliegende Ortschaften bedeckt: Der Mann mit der Pranke. Man tut gut, ihm nicht ins Gehege zu kommen.
Im Gegensatz dazu der andere, der sanft und sacht die Innenkante seiner gepflegten Schmalhand an das Schulterblatt legt und offensichtlich betrübt ist, daß es nicht ohne Berührung vonstatten geht. Dafür sucht er den geistigen Kontakt. – Pranke ist besser.
Zwischen beiden der schüchterne Schlemmer, dessen lässigmüde Hand die harten Regionen des Rückens meidet und sich gern dort stationiert, wo die Linien Rundung bekommen. Achtung, Kurve!
***
Was man nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben.
Tanzen entbindet von der Verpflichtung, geistreich zu sein. Der gute Tänzer hat nicht nötig, zu reden; der schlechte hat keine Möglichkeit. Daß keine peinliche Stille entsteht, dafür sorgt die Musik. Und den erforderlichen Geist spendet der Herr mit dem Megaphon: Nein – nein, das kannst du nicht. Oder: Hollahiahiahiahollaho! – Es passt immer.
Nebenher bleibt es jedem unbenommen, diese Geistesblitze durch eigene feingeschliffene Aperçus zu vervollständigen. Lange Ansprachen sind störend, aber feine Bonmots zwischen dem Wechselschritt und der Drehung links finden immer noch ihr Publikum. Etwa: Heiß heute Abend.
Darauf die Partnerin: Finden Sie?
Tanz ist nicht für Kopf und Mund. Tanz ist für die Beine.
Außerdem eine unfehlbare Prüfung auf Eheeignung. Wenn ich mit einer getanzt habe, weiß ich, ob ich sie heiraten würde.
Da ist die Sanfte, Fügsame. Sie gibt dem kleinsten Fingerdruck nach und tanzt, wie und was man von ihr will. Ein Käthchen von Heilbronn: Ja, mein hoher Herr. Und wenn man ihr tollpatschig auf die Schuhchen tritt, lispelt sie eine leise Entschuldigung.
Das ist nichts für mich. Sanft bin ich selbst.
Das Gegenteil: Die streitbare Walküre. Sie will immer anders. Will man rechts, tanzt sie links, will man vor, geht sie rückwärts. Und hat das Volumen und die Muskelkraft dazu. Man muß sie zu jeder Drehung vergewaltigen. Der Tanz ist ein schreitender Ringkampf, man denkt an Rembrandts Bild: Jacob worstelt met den Engel. Nach zwei Runden ist man groggy, nach der vierten knock out.
So was heiratet man nicht. Von so was wird man geheiratet – wenn man nicht aufpasst.
Dann die Sparsame: Sie tanzt mit durchgedrücktem Kreuz und rückwärts vorgewölbtem Untergestell, es sieht aus wie Känguru und geht auf Kosten der Grazie. Ich weiß nicht, was sie dabei hat, offensichtlich will sie ihre neuen Schuhe aus dem Tretbereich ihres Gegners bringen. Ich ahne, zu Hause legt sie Schondeckchen auf.
Auch das ist nichts für mich. Ich mag keine Frauen mit Schondeckchen.
Sie sind alle nichts für mich.
Vielleicht die Nichttanzenden? –
Die sind noch schlimmer.
***
Tanzen ist – gemäß Lexikon – der rhythmische Ausdruck eines Seelenzustandes.
Der zu tanzende Seelenzustand wird vom Orchester vorgeschrieben: Foxtrott, Walzer, Marsch, Tango.
Der rhythmische Ausdruck ist Kunst wie jede andere. Und verlangt außer Tanzkursus noch Begabung. Niemand mutet uns zu, daß wir malen oder dichten oder Klavier spielen. Bloß tanzen sollen wir alle.
So sieht es auch aus. Auf dem Tanzparkett ist es wie überall in der Welt: Es laufen so viele herum, die nicht können. Sie stolpern und drängen und schwitzen und verstopfen den Betrieb. Jeder will mittun, niemand zuschauen. Und jeder beklagt sich, daß es zu voll ist, und daß er nicht zur Entfaltung kommt.
Man muß nicht alles wollen. Jeder sollte nur den Rhythmus tanzen, der zu ihm passt. Der Zweiviertel-Takt ist für den erdverwurzelten Tatsachenmenschen. Zwei
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