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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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feierlicher und sicherer.
    Was aber wird, wenn man das Kommen vergisst? Es wird eine Katastrophe. Es gibt keinerlei Entschuldigung. Man kann nicht rückwirkend Migräne bekommen oder eine Großtante sterben lassen, man hätte Nachricht geben müssen.
    Ich habe darüber nachgedacht. Es gibt eine Rettung: Man kommt am nächsten oder übernächsten Abend in Saus und Braus mit Frack und Blumen, ist erstaunt, daß man der erste ist, und fällt auf den Rücken, wenn die betretene Hausfrau uns eröffnet, daß wir uns im Datum irren. Die Verlegenheit ist dann auf beiden Seiten, die Hausherrin bringt es nicht über sich, uns wegzuschicken, und man verlebt einen intimeren und darum köstlicheren Abend.
    Ich muß aber dringend bitten, dieses Rezept geheim zu halten, sonst ist es aus damit. –
    Das Reizvolle einer größeren Gesellschaft besteht darin, daß uns eine Auswahlsendung von Menschen unterschiedlicher Art vorgesetzt wird, unter denen man sich das Geeignete aussuchen kann. Daher die Beliebtheit des kalten Büfetts; nicht wegen des Rehrückens mit Cumberland, sondern wegen der vielen kleinen Tellerchen, mit denen die Gesellschaft durcheinander schwirrt und sich zu immer neuen Gruppen und Zweisamkeiten kristallisiert. Der Todfeind jeder Geselligkeit ist der große Tisch, an den man durch ein blindwaltendes Schicksal, sprich Tischordnung, zwischen aufgezwungenen Nachbarn festgenagelt wird. Sie sind gleichfalls genagelt; aber das ist nicht Trost, sondern Multiplikation. Außerdem ist der große Tisch gesprächstechnisch ein Unding. Ein Einheitsgespräch kann sich unter vielen Leuten nicht bilden, es entstehen Gesprächsgruppen, und an den Grenzen Überschneidungen und luftleere Räume. Die Aufhebung der Tafel ist Befreiung aus der Gefangenschaft, das Diner für manchen nur ein Hindernisrennen nach der Importe. Für mich nach dem Kaffee.
    Bowle ist, kulinarisch gesehen, eine Panscherei. Aber sie scheut den Durst und wird von der tanzenden Jugend bevorzugt, außerdem von Damen, deren Zunge noch nicht zur Weinkennerschaft gediehen ist. Übrigens hat in kleinerem Kreise der gemeinsame Bowlenbottich mitten auf dem Tisch Symbolhaftes, Schicksalverbindendes: Er ist ein flüssiges Eintopfgericht.
    Wenn schon Sekt, dann zu Anfang. Wenn man beim Eintritt sogleich mit einem Pokal Sekt überfallen wird, so bekommt man einen schäumenden Start, der einen mit Schwung über die steife Kühle der ersten Viertelstunde hinwegträgt. Für den Schluss des Festes tut es Pilsener billiger und besser. Die vom Trinken durstigen Herren entdecken rechtzeitig das Fässchen und fallen darüber her, die Damen krümeln sich gerne an, und so wird daraus der erfrischende Mittelpunkt einer späten Konzentration. Edle Weine sind nichts für Gesellschaften, sie beanspruchen den ganzen Menschen, ohne Geschwätz und Gefolgschaft. Dünne Weine schmecken nicht und machen trübsinnig.
    Die Folge: Sekt – Bowle – Bier ist scheinbar Abstieg, in Wahrheit gewählte Stufung.
    ***
    Tischreden sind etwas Köstliches; nicht anzuhören, sondern anzusehen. Ich habe noch keinen Festredner erlebt, dessen Hand sich nicht mit unwiderstehlicher Gewalt in die Hosentasche begab. Offenbar besteht bei Reden die Gefahr, daß eine Hand verloren gehen oder unter den Tisch kullern könnte. Die andere ist erforderlich, das Weinglas hin- und her zuschieben.
    Tischreden zerfallen in pathetische, humoristische und rührsame. Manchmal zerfallen sie schlechthin. Immer aber bewirken sie Lampenfieber, beim Redner, und mehr noch bei den Leidtragenden. Sie zittern und werden blaß, wenn der Redner stockt, kriechen vor Verlegenheit hinter ihr Glas, können nicht helfen, noch hindern. Sie müssen stillhalten, aushalten, maulhalten.
    Abhilfe: Grammophon. Ich hoffe, daß diese Anregung der Industrie genügt. Man wird sich künftig im Laden eine Platte mit der passenden Tischrede kaufen und sie dann seinen Gästen vorlaufen lassen. Ganz ohne Angstschweiß und Hosentasche.
    ***
    Unterhalten soll man sich natürlich auch. Sich selbst und die anderen.
    Manchmal wird Geist erwartet. Man braucht sich davor nicht zu fürchten. Nichts ist einfacher als Geist. Man kann die Geistjägerei ad absurdum führen, man spricht mit gefurchter Philosophenstirn und tödlichem Ernst irgendeinen komplizierten Unsinn. Etwa: Die kosmisch prononzierte Erdölproduktion der schicksalsverbundenen Mentalität als solche permutiert irgendwie in die transzendentale Weltgeltung. Man wird den Tiefsinn mit Nase und Mund

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