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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
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anstaunen, und niemand wird sich die Blöße geben, daß er ihn nicht versteht. Und wenn wirklich ein naseweiser Backfisch fragen sollte: Verzeihung, Herr Doktor, ich habe das nicht ganz verstanden, dann sagt man: Trösten Sie sich, mein Kind, ich auch nicht.
    Schlimmer ist die gebildete Unterhaltung. Man fragt sich gegenseitig ab, die Bücher, die man las, die Prominenten, die man kennt, die Filme, die man sah, die sonstige Bildung, die man genossen: Kennen Sie vielleicht –? Mir ist das peinlich, ich bin ein ganz ausgesprochen ungebildeter Mensch, ich mache aus der Not einen Scherz. Jedes ›Kennen Sie –‹ unterbreche ich sofort mit einem schneidenden ›Nein‹.
    Bei noch geringeren Ansprüchen werden Witze erzählt. Irgendeiner fühlt sich berufen und legt los, freihändig oder aus dem Notizbuch, und höret nimmer auf. Aus der Gesellschaft wird eine Hörerschaft, die gemordete Unterhaltung ist nachher nicht mehr in Gang zu bringen.
    Jede Gesellschaft ist einmal zu Ende, und dann muß man nach Hause gehen. Daran ist leider nichts zu ändern. Manchmal wissen das die Leute nicht oder stellen sich dumm, vielleicht, weil es so schön ist, vielleicht weil es gar nicht schön war und man das Schöne noch erwartet.
    Schließlich muß der Hausherr sanft nachhelfen.
    Er kann es nicht machen wie der Kneipwirt, und das Licht ausdrehen. Das gäbe vielleicht einen besonderen Jux und bewirkte das Gegenteil. Er muß sich auf zarte Andeutungen beschränken. Besser tut es die Hausfrau. Wenn die hierfür eingestellte Wanduhr schlägt, droht sie ihr mit dem Finger und sagt mit kindlich heller Stimme: »O du böse, böse Uhr, vertreibst mir meine lieben Gäste!«
    Und wenn das auch nicht zieht: Blitzlichtaufnahme. Man nimmt veraltetes, gut qualmendes Pulver, das seinen weißen Staub auf Möbel und Lungen legt, reißt Fenster und Türen gegeneinander auf, daß der Nachtwind die letzten Fetzen der Gemütlichkeit hinausfegt – und dann möchte ich die Gäste sehen, die nicht fröstelnd in ihre Pelze fliehen und das Feld räumen.
    Oder aber man verabschiedet sich von seinen Gästen: Ich muß um sechs heraus, ihr wisst, wo alles steht, amüsiert euch gut und macht nachher die Tür hinter euch zu. Dann legt man sich zu Bett. Und wenn man um zehn aufsteht, sind sie immer noch da. Und sitzen um den Eisschrank.
Zeit ohne Zeit
    Das Merkmal des zivilisierten Menschen: Er hat keine Zeit.
    Statt dessen hat er eine Uhr.
    Nicht nur eine. Er lebt zwischen den Uhren, mit den Uhren, gegen die Uhren. Er trägt sie nicht mehr in der Weste, braucht nicht Rock noch Mantel aufzuknöpfen. Er hat sie an der Hand, in der Hand. Außerdem auf dem Schreibtisch, auf der Straße, im Auto, auf dem Nachttisch, überall. Nur nicht im Kopf. Ohne Uhr wüssten wir nicht, ob wir Hunger haben, ob wir müde sind. Das Zeitgefühl ist uns im Drang der Zeit abhanden gekommen. Der Urmensch hatte Zeit, aber er wußte nichts davon. Wir Uhrmenschen wissen darum und haben die Uhren erfunden, die uns unsere Zeit in Scheiben schneiden, ein Scheibchen hierfür, ein Scheibchen dafür, recht viele und recht dünne, wie man es bei Hartwurst macht, wenn sie lange reichen soll. Die dünnen Blättchen schmecken nicht, in Wurst muß man hineinbeissen können. Mit der Zeit ist es ebenso.
    ***
    Alle Uhren sind grausam. Das ist ihr Beruf. Die Normaluhr zeigt uns, wie lange wir vergeblich warten; die Turmuhr teilt unsere schlaflosen Nächte in Viertelstunden; der Wecker schluckt hysterisch die Sekunden und zerreißt unseren Schlaf, wenn er am schönsten ist; an der Bahnhofsuhr sehen wir, wie viel Minuten wir zu spät kommen; die Standuhr mit ihrem ernsten Tick und Tack ruckt unerbittlich unser Leben vorwärts. Die Taschenuhr, dies kleine heimtückische Ding, hat es darauf, abgesehen, unsere Stunden heimlich-leise zu morden.
    Zu diesem Zweck hat sie drei Zeiger von unterschiedlichem Temperament. Der zarte Kleine hopst und springt und macht Radau, und bringt es doch zu nichts. Wir brauchen ihn nicht, wenn wir die Zeit ablesen, und die Damen verzichten auf den Hoppeditz.
    Der schmale Lange geht schweigend seinen Weg. Man kann ihn kriechen sehen, von Strich zu Strich. Aber es sind nur kleine Minuten, man kann sie verschmerzen.
    Der Kurze mit dem dicken Bauch aber ist voll Niedertracht. Er ist es, der die Stunden tötet. Man merkt es ihm nicht an, er läßt sich nicht erwischen. Wenn er sich beobachtet fühlt, steht er still und stellt sich tot. Kaum hat man ihm den Rücken gewendet, springt

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