Heinrich Spoerl
hat die schwere Krankheit auffallend schnell überstanden und ist auch sonst recht niedlich anzusehen. »Wunderbar, Herr Doktor, daß ich Sie noch treffe! Können Sie es nicht möglich machen, daß ich mich anschließe?«
Delius wird ein bisschen rot und blickt auf den Reiseleiter, und der Reiseleiter blickt auf Frau Delius. »Von mir aus, bitte«, sagt sie leise und gereizt. »Von uns aus, bitte!« wiederholt der Reiseleiter laut und freundlich. Das blonde Fräulein hüpft in die Gondel und nimmt wie selbstverständlich dicht neben Delius Platz. Nun steht es für Frau Delius fest, daß sie ebenfalls mitfährt. Sie läßt sich vom Reiseleiter die Hand reichen und setzt sich ostentativ neben ihn an das andere Ende der Gondel. Dann stellt sich der Gondoliere auf seinen Platz, stößt ab und leitet mit lautlosen Ruderschlägen das Boot durch den schmalen Kanal: kleine runde Wellen schlagen gluckernd gegen die Planken.
Frau Delius sitzt schweigend und fühlt sich unbehaglich. Am anderen Ende, ihr gegenüber jenseits des Gondelhäuschens, sieht sie ihren Mann neben dieser fremden Person; er sitzt steif und stumm, ist offensichtlich befangen; die beiden scheinen sich zu kennen.
Wer ist dieses Fräulein? Sie will den Reiseleiter fragen, aber der hat bereits ein anderes Gespräch mit ihr begonnen: »Verehrte gnädige Frau, ich bin dazu angestellt, Sie auf die Schönheiten der Welt und die besonderen Reize dieser Gondelfahrt aufmerksam zu machen. Infolgedessen muß ich Ihr geschätztes Augenmerk auf den Zauber dieser Abendlichen Stadt lenken, auf das schwarze Wasser, in dem sich die buntbemalten Pfosten und die ehrwürdigen Fassaden der Palazzi in seltsamer Verzerrung spiegeln, ich muß Ihnen aus Gründen der Romantik empfehlen, sich von den Gondeln erschrecken zu lassen, die lautlos wie gespenstige Schatten um die Ecken der Kanäle huschen und unter kleine Brücken gleiten, ich muß auf den pastellgrün dämmernden Abendhimmel über uns hinweisen, in den die Türme und Kuppeln der Stadt ihre bizarre Silhouette schneiden. Es ist eine einmalige, vielleicht etwas theatralische Stadt, und wenn ich den Mut zur Banalität hätte, würde ich sie mit einer schönen Frau vergleichen, die eine bewegte Vergangenheit hat und eine Note daraus macht und trotzdem einer heiteren Gegenwart lebt – all dies und noch viel mehr würde ich Ihnen sagen, in einem vorgeschriebenen Anflug von Schwärmerei und um das Maß der Empfindungen voll zu machen, würde ich unseren Fährmann bitten –. He, Gondoliere, una canzonetta! – Haben Sie nicht gehört? Singen, cantare!«
Der Gondoliere bleibt stumm und tut seine rhythmischen Ruderschläge. Da fällt dem Reiseleiter ein, daß er das Wichtigste vergessen hat; ergreift in die Rocktasche und reicht es dem schweigenden Sänger, und im gleichen Augenblick, wie wenn eine Münze in einen Musikautomaten fällt, gibt der Gondoliere mit italienischem Glottisansatz die erste Strophe von sich.
Unterdessen ist auch zwischen Delius und Fräulein Li ein Gespräch entstanden. »Herr Doktor, wer ist die Dame da drüben, sie sieht dauernd zu Ihnen herüber, kennen Sie die näher?«
Delius weicht aus. »Es kommt darauf an, was Sie darunter verstehen.«
»Aber Herr Doktor, Sie wissen schon, was ich meine. Auf einer solchen Reise passiert doch allerhand, mir können Sie das doch ruhig sagen. Denken Sie, das merke ich nicht?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
Li fühlt sich ertappt. »Wissen will ich das gar nicht, es ist bloß Neugierde von mir, Herr Doktor, weibliche Neugier. Können Sie das nicht verstehen? Wenn man ein bisschen lebenshungrig ist – wie ich zum Beispiel – und dann doch nichts erlebt – hört man wenigstens gern was von anderen.« Dann beugt sie sich an sein Ohr: »Die Dame läßt Sie nicht aus den Augen: Sie scheinen ihr zu gefallen, und hübsch ist sie eigentlich auch. Sie ist sicher eine von denen, die im Jahr zweimal auf Reisen gehen, um das zu erleben, was sie sich zu Hause nicht trauen. Wie wäre es mit einem kleinen, erfrischenden Flirt? Ich glaube, Sie brauchen nur zu wollen.«
»Vielleicht will ich nicht.«
»Natürlich wollen Sie. Ein Mann will immer. Sie sind nur zu unbeholfen, vielleicht auch zu vornehm. Sie trauen sich nicht, ich habe Sie doch kennen gelernt, Herr Doktor! Wie war das, soll ich Ihnen helfen, soll ich ein bisschen vermitteln?«
Delius weiß nicht, ob er lachen oder sich entrüsten soll.
»Im Ernst, Herr Doktor. Ich werde mich mit der Dame anfreunden
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