Heinrich Spoerl
damals so freundlich zu ihm war und ihm milde Strafe versprochen hat. Aber heute ist auch der schwarz und ernst und tut fremd. Und sprechen tut er auch nicht. Sprechen tut nur der in der Mitte mit den breiten Schultern und der rollenden Stimme. »Stehen Sie auf.«
Bätes schnellt in die Höhe. Er fühlt, daß hundert Augen ihn anstarren, und hat ein seltsames Gemisch von Angst und Eitelkeit. Ihm ist wie einem Schauspieler, der zum ersten Mal auf der Bühne steht. Er weiß nicht, wo er die Hände lassen soll, er hat zwanzig Arme und fürchtet, sie könnten ihm abfallen. Und steckt vor lauter Verlegenheit die Hände in die Hosentasche.
»Hand aus der Tasche!« donnert der Vorsitzende.
Bätes denkt ans Militär, steht stramm und sagt »Zu Befehl«.
»Lassen Sie die Mätzchen!« dröhnt der Vorsitzende.
Jetzt ist es aus mit Bätes. Seine Personalien werden abgefragt. Es verschlägt ihm die Stimme, er weiß nicht mehr, wie er heißt, ob er verheiratet ist, wie viel Kinder er hat. Der Vorsitzende muß alles vorsagen. Bätes läßt es über sich ergehen. Der Eröffnungsbeschluß wird verlesen. Bätes hört ein Gerassel von Worten, die er nicht versteht, Paragraphen und Zahlen, Majestätsbeleidigung, Idealkonkurrenz, Fundunterschlagung, Bundesstaat, fremde bewegliche Sache, Zueignung. Er bekommt einen Schreck, was er alles getan hat. Er möchte nach Hause, aber der Holzkäfig und die Gerichtsdiener würden ihn hindern.
Dann werden die Zeugen hinausgeschickt, Wimm und der Schutzmann. Bätes wird zur Sache vernommen.
Zunächst erhält er eine ausgiebige Verwarnung. »Ich rate Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, auch heute die Wahrheit zu sagen. Lügen haben kurze Beine, besonders bei uns. Sie wissen, um was es sich handelt. Sie sollen das Denkmal unseres Allergnädigsten Landesherrn mit einem Hundemaulkorb versehen haben. Sie geben das alles zu?«
In Bätes kreisen die Gedanken: Majestätsbeleidigung, Zuchthaus, Wahrheit sagen, Belohnung, Kinder; ein Ringkampf zwischen Geld und Angst. Er weiß kaum noch, was oben und unten ist.
»Ob Sie das zugeben«, fragt der Vorsitzende, lauter, drohender. Jetzt muß er antworten. Er denkt an die Kinderhöschen und Kartoffeln und sagt ja. Sieht die vielen schwarzen Männer hinter der Theke und sagt nein. Entschließt sich dann zu einem Mittelweg und fragt: »Was jefällig?«
»Ich frage, ob Sie das am Denkmal gemacht haben.«
»– Enää.«
»So? Sie wollen also jetzt bestreiten?«
»– Enää.«
»Was heißt nein? Sie können doch nicht auf beides nein sagen. Also, was wollen Sie, zugeben oder bestreiten?«
»– Eja.«
»Was heißt ja? Sie können eine alternative Frage doch nicht mit ja beantworten. Verstehen Sie denn kein Deutsch?«
»– Eja.«
Der Vorsitzende ist mit seiner Kraft zu Ende. Ihm ist kein Verbrecher zu gerissen, kein Verteidiger zu gefährlich. An Bätes zerschellt er. Er versucht es andersherum. »Nun seien Sie mal vernünftig. Sie haben das doch früher zugegeben.«
Bätes sieht sich hilfesuchend nach dem Wimm um; sein Platz ist leer. Das bringt ihn um den Rest der Fassung. Er fühlt sich allein und preisgegeben und bringt kein Wort mehr heraus. Die Tränen stehen ihm in den Augen.
Der Vorsitzende wendet sich nach links. »Ach, Herr Staatsanwalt, vielleicht können Sie ihm mal vorhalten, was er Ihnen erzählt hat.«
Darauf hat Treskow gewartet. Seine Angst war, daß es ein glattes Geständnis und eine lächerlich einfache Verhandlung geben könnte. Nun sah man, was es für ein verstockter Bursche ist. Außerdem war es eine seiner Spezialitäten, widerrufene Geständnisse in Ordnung zu bringen. Er nahm das strenge Barett ab, legte sein Amtsgesicht in heitere Falten und wandte sich an Bätes, den rheinischen Tonfall leicht imitierend: »Sehen Sie mich einmal an. Erkennen Sie mich nicht?«
»Jewiß dat«, sagt Bätes und freut sich über den freundlichen Frager.
»Sie haben mir die Sache damals doch so schön erzählt.«
Bätes schüttelt den Kopf. »Ich nit. Der Wimm.«
»Was ist Wimm?« fragte der fünfte Beisitzer, ein hoffnungsvoller Prädikatsassessor aus dem Osten. Er wird aufgeklärt, und Treskow kann fortfahren.
»Angeklagter, wir möchten das aber gern von Ihnen selbst hören. Also, Sie kamen in der Nacht am Denkmal vorbei – nun? – erzählen Sie doch.«
Bätes würgt: »Der Wimm – der Wimm –« Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Der Wimm ist derjenige, der die Sache ausgeheckt hat; der Wimm braucht nicht zu sitzen und
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