Heinrich Spoerl
suchen, dachte Rabanus. Er saß lustig auf der hintersten Bank des Zuschauerraumes und hielt sich in Deckung. Er hatte nicht die Absicht gehabt, sich den Betrieb hier anzusehen. Was ging es ihn an? Nun war er doch gekommen, vielleicht aus Langeweile, vielleicht aus kriminalwissenschaftlichem Interesse wie die andern, vielleicht auch, weil er der Erfinder von Wimm und Bätes war.
Das Gericht war abgetreten, die Zuschauer strömten langsam aus dem Saal, um frische Luft zu schöpfen. Rabanus hatte immer weniger Vordermänner, und ehe er es recht bemerkte, saß er frei und ohne Deckung. Eben will er sich zur Tür retten, da hat Treskow ihn erkannt. »Halt, da sind Sie ja! Bleiben Sie mal hier!«
Rabanus stört sich nicht daran; er ist ein freier Mann und kann gehen, wohin er will. Aber schon hat ihn der Wachtmeister geschnappt und führt ihn in den Saal zurück.
Das trifft sich gut. Das Gericht kommt zurück, im Augenblick ist der Saal wieder voll. Die Sitzung geht weiter. Der zweite Teil beginnt.
Der Zeuge Rabanus ist die große Hoffnung. Staatsanwalt von Treskow ist voll Zuversicht.
Der Vorsitzende macht dem Zeugen einige Vorhaltungen: »Sie haben über die Person des Täters früher widersprechende Angaben gemacht. Erst war es ein großer Herr mit Mantel und steifem Hut, dann plötzlich ein kleiner dicker Mann mit Bart und Mütze, eine Beschreibung, die auf den Angeklagten passen könnte. Ich will nicht wissen, worauf diese Widersprüche beruhen, ich will Ihnen deswegen keine Vorhaltungen machen; Nachteile können Ihnen daraus nicht erwachsen, weil die Aussagen uneidlich waren. – Heute stehen Sie unter Eid, Sie haben geschworen, die reine Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen. – Darf ich bitten?«
Rabanus beginnt. Die Worte kommen langsam, klar und sorgfältig abgewogen. »Ich war an dem Abend bei einem Kollegen und hatte mich kurz nach zwei verabschiedet und ging nach Hause. Mein Weg führte mich über den Marktplatz.«
»Waren Sie allein?«
»Jawohl.«
»Erzählen Sie, was Sie dort beobachtet haben.«
Rabanus holt tief Atem. »Ich sah, daß jemand über das Staket stieg und sich an dem Denkmal zu schaffen machte. Er kletterte daran hinauf, was unter Benutzung des Figurenwerkes leicht möglich war, rutschte einige Male wieder ab. Schließlich gelang es ihm, und ich sah, wie er einen Maulkorb vor dem Gesicht der Statue befestigte.«
Es ist mäuschenstill im Saal. Die Richter sitzen gespannt vornübergebeugt, die Herren von der Presse schreiben, daß die Stifte brechen, die Zuschauer halten den Atem an. Treskow wird groß hinter seinem Tisch. Jetzt läuft der Karren richtig. Aber die entscheidende Aussage möchte er persönlich herbeiführen. »Haben Sie den Täter aus der Nähe gesehen?« fragt er.
»Jawohl.«
»Würden Sie ihn bei einer Gegenüberstellung wieder erkennen?«
Rabanus zögert eine Sekunde. »Jawohl.«
»Sehen Sie sich um. Ist der Täter vielleicht hier im Saal?«
Rabanus denkt einen Augenblick nach. »Jawohl.«
»Dann zeigen Sie ihn.«
Treskow sieht fragend auf Rabanus und Bätes. Nun ist es soweit. Aber Rabanus schweigt. Er rührt sich nicht, ist auffallend blaß und starrt auf den Staatsanwalt.
»Was ist denn los?« mischt sich der Vorsitzende ein. »Haben Sie gehört, was der Herr Staatsanwalt Sie gefragt hat?«
»Jawohl.«
»Warum antworten Sie nicht?«
»Ich möchte an dieser Stelle meine Vernehmung abbrechen.«
»Was möchten Sie? Ob und wann Ihre Vernehmung abgebrochen wird, das bestimmen wir, und nicht Sie.«
»Dann will ich mich deutlicher ausdrücken: Ich meinerseits habe nicht die Absicht, meine Aussage fortzusetzen.«
»Ihre Absichten sind uns uninteressant. Als Zeuge haben Sie die Verpflichtung zur Aussage.«
»Und wenn ich dieser Verpflichtung nicht nachkomme?«
»Dann werden wir sie erzwingen!«
»Darf ich wissen, wie Sie das machen?«
»Wir können Sie bis zu sechs Monaten in Haft nehmen.«
Rabanus überlegt. »Mit sechs Monaten Haft ist mir nicht gedient. Aber wenn ich aussage, ist der Justiz erst recht nicht gedient.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das sollen Sie auch nicht verstehen; es genügt, wenn Sie es mir glauben.«
Staatsanwalt von Treskow hat sich in seiner schwarzen Länge erhoben. Er weiß, wie man renitente Zeugen zur Vernunft bringt. »Ich lehne eine Diskussion mit dem Zeugen ab. Nachdem er trotz Vorhalt auf seiner Weigerung beharrt, stelle ich den Antrag, gegen ihn das Zeugniszwangsverfahren einzuleiten und ihn in Haft zu
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