Heinrich Spoerl
dachte er freilich nicht. Was zu nahe liegt, übersieht man leicht, besonders, wenn man zu weitschauend sein will. Übrigens hätte ihm die Erkenntnis auch nichts mehr genutzt. Es war endgültig versiebt.
Eines Tages lief ihm die Ria Prümper über den Weg. Sie sah noch tropischer, noch mohnblumiger aus, oder es kam ihm so vor. Er wollte einen Bogen schlagen, denn eigentlich war sie an der Geschichte schuld. Aber sie lief hinter ihm her und hielt ihn an. Er hatte sie schlecht behandelt, darum war sie lieb und anhänglich wie ein Hündchen.
»Wie jeht es Ihnen noch, Herr Rabanus? Sie sehen nit jut aus.«
»So?«
»Warum kommen Sie nit mehr bei uns vorbei, zum Frühstück oder zu nem Bölchen? Der Vatter meint, wenn Sie auch jesessen hätten, drum könnten Sie doch kommen. – Wat kucken Sie mich so an? Ich kann aber auch bei Sie auf et Atelier kommen. Zum Malen – oder zum Kaffeetrinken.«
***
Das öffentliche Interesse an dem Maulkorb-Attentat war im Begriffe einzuschlafen. Man kann nicht Wochen hindurch über den nämlichen Ulk lachen, feixen, tuscheln und Gerüchte wispern. Was an offener Entrüstung und versteckter Witzelei aufzubringen war, hatte die Rechts- und Links- und Mittelpresse erschöpfend besorgt. Nun begann Gras zu wachsen.
Als der Tag der Gerichtsverhandlung kam, erlebte der sterbende Maulkorb seine glanzvolle Auferstehung.
Zunächst in den Zeitungen.
Wer war überhaupt dieser Albert Schmitz?
Wie so oft, erfuhr man auch hier zunächst die negative Seite: wer es nicht war. Jeden Tag standen Notizen in der Zeitung: Herr Buch- und Steindruckereibesitzer Albert Schmitz, Hohe Straße 14, legt Wert auf die Feststellung, daß er mit dem Täter nicht identisch ist.
Viele Schmitze legten Wert auf diese Feststellung.
Übrig blieb der Albert Schmitz aus der Liefergasse. Frau Bätes bekam viel Besuch, Herren in Sportanzügen mit Notizbüchern und Photoapparaten fragten sie aus. Anfangs war sie mißtrauisch, hielt die Männer für Geheimpolizisten und stellte sich dumm. Langsam kam sie dahinter, daß ihr Mann, der gute, dicke, blöde Bätes, über Nacht eine Berühmtheit geworden war. Sie hatte es sich längst abgewöhnt, die Wege des Schicksals zu ergründen. Das Gute nahm sie hin, wie bisher das Böse, und ließ sich geduldig interviewen. Sie mußte von ihrem Bätes erzählen, Erinnerungen und Photographien auskramen, und wo sie etwas nicht wußte, erfand sie dazu, was man brauchen konnte. Das lernt sich schnell. Sie kam aus der weißen Schürze nicht mehr heraus und sträubte sich nicht, daß man ihr hier und da den Zeitaufwand bezahlte. Sie hatte neun Kinder.
Manchmal kamen Leute, die sehr leise sprachen und erst das Fenster schlossen. Ob Bätes sich schon früher politisch betätigt habe? Bei welcher Partei? Und ob er sich wohl als Kandidat aufstellen lasse? Frau Bätes wurde böse; sie wird das immer, wenn sie etwas nicht versteht.
»Ich lass meine Mann nit als Kandidat titeliere, dat verbitt ich mich! Dat is keine Kandidat, dat is ne anständije ordentliche Arbeitsmann.«
Am Tage vor der Verhandlung stand Bätes in allen Zeitungen. Bätes in Wort und Bild. Bätes als Säugling, Jüngling, Soldat, Familienvater. Ein zehnfacher Sittlichkeitsverbrecher hätte nicht höher bewertet werden können.
Bätes der Attentäter! Bätes der Denkmalschänder! schrieb die eine Seite mit flammender Entrüstung.
Bätes der Bekenner! Bätes die kochende Volksseele! schrieb die andere mit versteckter Bewunderung.
Bätes einerseits – Bätes andererseits! balancierte die Mittelpresse. – Bätes war der Held des Tages.
Und nicht etwa Treskow. Kaum, daß sein Name erwähnt wurde. Daß ein Staatsanwalt den Täter ermittelt, ist selbstverständlich; dafür wird er bezahlt. Treskow war nicht eitel, er buhlte nicht um Volksgunst und Zeitungsruhm. Er war nur ehrgeizig; an zuständiger Stelle würde man schon auf ihn aufmerksam werden. Am Tage vor der Verhandlung hatte er noch einen ärgerlichen Zusammenstoß mit seinem Oberstaatsanwalt. Der hatte sich zu ihm aufs Zimmer bemüht, was er sonst aus Gründen der Autorität nie tat, war ungewöhnlich liebenswürdig, fast herzlich. Dann kam des Pudels Kern: »Ach, lieber Treskow, was ich noch sagen wollte – Sie sind vielleicht ein bisschen überarbeitet; wäre es nicht richtiger, wenn Sie die Wahrnehmung der Sitzung einem Ihrer Kollegen überließen? Oder mir persönlich, wenn Ihnen das lieber ist.«
Treskow bebt. »Ich wüsste nicht, Herr Oberstaatsanwalt,
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