Heinz Strunk in Afrika
gibt. Kunstlederkoffer, Hartschalen- und Weichschalenkoffer, Trolleys, Samsonites, No-Name-Stoffpisse, Kosmetik-Cases, hin und wieder eine Reisetasche. Ich bin auf diesem Flug der mutmaßlich einzige Besitzer eines schönen, großen Aluminiumkoffers der deutschen Traditionsmarke Rimowa. Außer mir stehen sich jetzt nur noch vier Leute die Beine in den Bauch. Ungeduldig, nervös, fiebrig. Tucker, tucker, quietsch, quietsch, schepper, schepper. Gähnende Leere, so weit das Auge reicht. Abrupt stoppt das Band, um sich aber gleich wieder in Bewegung zu setzen. Nur steht an der Anzeigetafel jetzt nicht mehr L 017 aus Hamburg, sondern LH 1423 aus Berlin. Nein, nein, nein! Das halte ich nicht mehr aus! Ich bin kurz davor, mich in die Flughafenpsychiatrie einweisen zu lassen; bestimmt gibt es eine, wie es wahrscheinlich auch ein Flughafenerlebnisbad und eine Flughafenpferdezucht gibt. Am Lost&found-Schalter erfahre ich, dass es in Hamburg Ärger mit der Sortierungsanlage gegeben habe, insgesamt sechs Koffer seien betroffen, ich müsse ein Formular ausfüllen, dann werde er übermorgen über Düsseldorf nachkommen. Lieber Gott, das ist jetzt aber gerade echt nicht wahr! Den Laptop habe ich am Mann, zum Glück. Inhalt:
Abbitte
,
White Line Fever
, ein Paket Taschentücher, ein Filzstift und Zeitschriften. Das war’s dann aber auch.
Wenn ich cool wäre, würde ich die Scheißreise einfach verfallen lassen. Man sollte überhaupt viel mehr verfallen lassen. Kaufen und wegschmeißen. Kaufen und verfallen lassen. Kaufen und vergessen. Aber ich trage doch die Verantwortung für einen Menschen! Aus Fleisch und Blut! Meinen Freund! 18 Uhr. SMS von C.: «Sitze noch im Flugzeug, warten auf den Bus.» Die Schlinge zieht sich zu. Mir bleibt noch eine halbe Stunde, um mich notdürftig einzudecken. Im
BOSS -Labelstore
erstehe ich zwei Paar Strümpfe (Kniestrümpfe natürlich, ab dem vierzigsten Lebensjahr sind ausschließlich Kniestrümpfe erlaubt, auch und gerade im Hochsommer), ein T-Shirt, ein Oberhemd, zwei Unterhosen und eine dunkelblaue Badehose. Mit der Plastiktüte nach Mombasa, prost Mahlzeit.
Halle C, 18 Uhr 50. Der Mann am Condor-Check-in, blonde Stoppelhaare, Nackenspoiler, erkundigt sich in breitem Sächsisch, ob ich denn kein Gepäck aufgeben wolle. Stumm halte ich meine Plastiktüte hoch. Und frage dann nach der Maschine aus Wien. Das wisse er auch nicht, aber langsam werde es Zeit, in genau 33 Minuten sei der Check-in beendet. Mein Handy klingelt. C.!
«Was ist los? Wo bist du?»
«Immer noch im Bus.»
«Check-in macht gleich dicht. Lass deinen Koffer doch nachkommen, dann schaffst du es vielleicht noch.»
«Nein, das geht unter keinen Umständen, da sind auch die ganzen Medikamente drin.»
Welche Medikamente?
«Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als die nächste Maschine zu nehmen. Die Lufthansa organisiert das, die sind schließlich schuld.»
«Schon mal was von höherer Gewalt gehört? Ich werde es unter gar keinen Umständen auf einen sich über Jahre hinziehenden Zivilprozess gegen eine Fluggesellschaft ankommen lassen. Morgen erkundige ich mich, wann der nächste Flug geht.»
«Wieso erst morgen? Sofort! Alle Maschinen sind so gut wie ausgebucht.»
«Ich glaube, der Bus fährt los. Ich melde mich später nochmal. Bist du sicher, dass du fliegen willst?»
«Was soll das? Ich habe bereits eingecheckt. Du kommst nach. Ich hol dich auch vom Flughafen ab, und wir machen die ganze Zeit alles, was du willst. Bitte lass mich nicht im Stich!»
«Du kannst jederzeit umkehren. Aber wie gesagt, ich melde mich später noch einmal.»
Klack. Aufgelegt. The nightmare continues (englisch).
36 E ist Mitte rechts, meine Sitznachbarinnen sind zwei korpulente Frauen um die vierzig, tränensäckig, mehlig, speckig, bereits verschmolzen mit ihren Sesseln. Ich grüße freundlich. Statt den Gruß zu erwidern, flüstert die etwas jünger wirkende ihrer Freundin ins Ohr. Unverschämtheit. Ihre gepiercte Nase glänzt von Fett. Sie hat gar keine Frisur, es sieht aus, als würden ihre Haare seit der Geburt rauswachsen. Das Gesicht der anderen, knallrot, wirkt irgendwie verbrüht und ist von unzähligen kleinen Leberflecken gesprenkelt. Vielleicht
Sugarmummys
, weibliche Sextouristen. Rechts von mir, auf den Plätzen 36 F und G, spielen eine Frau und ihr wesentlich älterer Mann Karten. Die Frau hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit der untersetzten Hobbypsychologin Angelika Kallwass. Unbegreiflich, wie man
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