Heinz Strunk in Afrika
Schälchen Farmersalat, Brötchen mit Butter, ein Riegel Camembert. Ich bestelle eine weitere Flasche Rotwein und 5 cl Wodka. Nachlegen. Hoffentlich gelingt es mir einzuschlafen, bevor der Glimmer abklingt. Ich frage mich, was wohl in der Fluggastkabine vorgeht, kurz vor einem Absturz, ob es so was wie eine kollektive Erfahrung der letzten Sekunden gibt. Egal. Schnarch.
Als ich um halb fünf von heftigem Blasendruck geweckt werde, kloppt Ehepaar Kallwass bereits Karten. Fröhlich. Munter. Ausgeschlafen. Mir ist völlig schleierhaft, wie man bereits jetzt so unerträglich
wach
sein kann. Die Sugarmummys klappen in Erwartung des Frühstücks ihre Tischchen auf. Mir ist völlig schleierhaft, wie man jetzt schon wieder hungrig sein kann. Eigentlich ist mir alles völlig schleierhaft. Als die Maschine in eine Linkskurve geht, passiert, was passieren musste: Die Flaschen unter meinem Sitz rollen den Gang hinunter. Ich schaue krampfhaft weg, aber Frau Kallwass entgeht nichts. Vielleicht bietet sie mir gleich eine kostenlose Therapiestunde an.
Die Außentemperatur beträgt minus 48 Grad Celsius, die Flughöhe 9741 Meter, die örtliche Zeit 7 Uhr 11. Der Kapitän meldet sich. Guten Morgen. Es verblieben noch eineinhalb Stunden Flugzeit, die Temperatur in Mombasa betrage
angenehme
31 Grad. Die Sugarmummys: «Ahhh, ohhh.» Angenehm? Was soll an 31 Grad angenehm sein? Grundfalsch! Der Mann macht mich wahnsinnig. Weiter: «Wir überfliegen soeben den Kilimandscharo. Direkt unter uns.» Afrikas Zauberberg. Kann schon sein, interessiert mich nicht. Soll der Schnee auf dem blöden Berg doch endlich schmelzen, dann ist Ruhe im Karton, und der Kilimandscharo verschwindet für alle Zeiten aus den Schlagzeilen.
Als ich nach der Landung mit meinem bescheuerten Plastikbeutel die Gangway runtertorkle, trifft mich ein Hitzeschock, eine Hitze wie Fieber, schweres, ansteckendes Fieber, Vernichtungsflammen. Die Sonne knallt frontal herunter, und das am frühen Morgen. Mein Blut ist zu dick für Afrika, denke ich. Bevor wir zur Passkontrolle durchgelassen werden, müssen wir noch eine Art Gesundheitsunbedenklichkeitszeugnis ausfüllen und zwanzig Euro Zwangsgeld entrichten, wie damals in der DDR .
Ich frage mich zum Transferbus durch, einem maroden Achtsitzer der Marke Skoda oder Daihatsu oder Kia oder so. Ich bin der Erste. Der blutjunge Fahrer, der mit seinem ausgeprägten Unterbiss aussieht wie der kleine Bruder von Puffdaddy, schenkt mir keine Beachtung, sondern brüllt unablässig in sein Handy. Eine Viertelstunde vergeht. Puffy telefoniert und telefoniert und telefoniert. Ich werfe einen Blick auf
mein
Handy. Nichts. Was ist mit C.? Und wo bleiben die anderen? Ach ja, die dürfen ja ihre Koffer in Empfang nehmen, die Glücklichen. Endlich kommen zwei schwitzende, schwabbelige Männer angeschlurft, Amerikaner. Der eine trägt einen überdimensionalen Schnauzer, der andere hat einen albernen, gelben Schlapphut auf seinen Eierkopf geschraubt. Sextouristen, ganz klar, Bumsböcke, wie sie im Buche stehen. Offenbar sind wir vollzählig, denn Puffy beendet sein Telefonat.
Koffer einladen, Abfahrt! Ich schaue aus dem Fenster, es gilt, erste Eindrücke aufzusaugen, den Ort auf mich wirken zu lassen. Die Landschaft zerfetzt, kaputt, öde. Die zerfressenen abblätternden Außenwände von Häusern, Baracken, Wellblechhütten, Holzhütten, Baracken, Verschlägen, Kabuffs ziehen an mir vorbei. Offene Feuer, improvisierte Märkte, verkrüppelte Vegetation. Verwohnt, denke ich, Mombasa ist ja total verwohnt, ein einziger Schrotthaufen. Puffy rast wie ein Irrer, ich bekomme es mit der Angst zu tun, traue mich aber nicht zu protestieren. Vor uns taucht ein besonders hässlicher Betonklotz auf. Puffy hält direkt auf ihn zu. Nein! Der penisartige Bunker kommt näher und näher und näher. Lieber Gott! Der Wagen rollt aus und kommt vor der Einfahrt zum Stehen. Bitte, bitte, lass es nicht das Nyali Beach sein! Puffy dreht sich um: «Manson Hotel.» Gott sei Dank, Gott sei Dank, Gott sei Dank. Die Fickstörche sind ganz weiß im Gesicht. Haha, da gehört ihr hin, denke ich, Bumsbockhotel Manson, benannt nach dem gleichnamigen Psychopathen und Massenmörder. Ausladen, goodbye, gut Schuss, und weiter geht’s. Puffy gibt Vollgas. Nach fünf Minuten halten wir vor einer Schranke. Zwei uniformierte Posten kommen aus ihrem Wachhäuschen geschlurft und inspizieren das Fahrzeug. Gründlich. Sehr gründlich sogar. Alles okay. Schranke hoch und im
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