Heinz Strunk in Afrika
Handy, die es einsteckt, ohne ihn anzuschauen. Der Junge kuschelt sich an sie, versucht, sie mit einer Umarmung versöhnlich zu stimmen, doch die Frau rückt von ihm ab. Der Junge faltet seine Hände wie zum Gebet und saugt sein Wangenfleisch nach innen. Dann reißt er sich kleine Hautfetzen von der Handinnenfläche und zerkaut sie langsam. Mehr Elend geht nicht. Warum verdammt nochmal ist diese Frau so empörend unsensibel für die Verletzlichkeit ihres eigenen kleinen Jungen? Wie kann man durchs Leben gehen, ohne auch nur den kleinsten Zugang zu den Gefühlen, Wünschen und Sehnsüchten anderer zu haben? Für einen Moment treffen sich unsere Blicke. Wir wissen beide, dass ich recht habe.
Um 15 Uhr 05 ist Boarding Time. Im eiskalten Steg, Gehschlauch, Einfüllstutzen, Flughafenröhrenpassagiertunnel oder wie das heißt, geht es nicht mehr voran. Nach wenigen Minuten bin ich bis auf die Knochen durchgefroren. Naja, wir können von Glück sagen, nicht von einem Bus zur Maschine gebracht zu werden. Flughafenbus. Flughafenbusfahrer. Das Berufsbild
Flughafenbusfahrer
steht im Ranking um die ödesten Berufe der Welt auf einem der vordersten Plätze, fällt mir ein. Egal, wenig tröstlich. Um mich herum dürre, leise, stochernde Gespräche. Meine Laune steuert einen neuen Tiefpunkt an, ein einziger Satz hämmert in meinem Schädel: Du kommst nie an, niemals!
Im Flugzeug die nächste Ansage: «Hier spricht der Kapitän. Da in Frankfurt aufgrund starken Schneefalls eine der beiden Pisten gesperrt werden musste, können statt sechzig Flugzeugen pro Stunde nur fünfundzwanzig bis dreißig landen. Deshalb müssen wir noch circa sechzig Minuten warten.»
Um mich herum wird sofort hysterisch telefoniert. Und gesimst. Und gemailt. Und geirgendwast. Als ob es kein Morgen gäbe. Globales Gerassel, dessen einziger Sinn und Zweck es ist, den Weltlärmpegel zu erhöhen. Da mach ich doch mit. SMS an C.: «Wie ist die Lage bei dir?» Antwort: «Sehr schlecht, Flieger soll in frühestens eineinhalb Stunden gehen. Wenn überhaupt.» Kalter Schweiß, Hitzewallungen, irgendwelche Stiche. Zum tausendsten Mal studiere ich den Zettel mit den Reiseinformationen: Abholung der Tickets bei der REWE Touristik, Terminal 2, Halle E, Schalter 930.3 oder 930.4. Allein die Zahlen! 930.4, das klingt nach einer Art Weltraumterminal. Und wieso Abholung Terminal 2, wo die Maschine nach Mombasa doch von Terminal 1 startet? Welcher Flughafenhitler hat sich das schon wieder ausgedacht!? Ach, ach, ach. Halbe Stunde später. «… Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass sich unser Abflug nicht noch weiter verzögert.» Immerhin. Ich packe meinen Proviant aus. Körnerbrötchen mit Emmentaler, Tomate und Gurke. An den Seiten suppscht Salatsoße raus. Meine Sitznachbarin: «Das haben Sie gut gemacht, Sie haben sich wohl eingedeckt, hahahaha.» Sie lacht, als hätte sie einen besonders gelungenen Witz gerissen. Mir ist vor kurzem erst aufgegangen, dass die Menschen zu 80 Prozent aus Verlegenheit und/oder Dummheit lachen, zu 16 Prozent aus irgendwelchen anderen Gründen, die mir wohl für immer verschlossen bleiben, bei den restlichen 4 Prozent gibt es eine Schnittmenge, Stichwort Bananenschale. Meine Antwort müsste «Haha, als hätte ich’s geahnt» oder etwas in der Art lauten, aber ich will mit der Frau kein weiteres Wort wechseln, unter keinen Umständen, und stammle daher halblaut etwas Nichtssagendes. Afrika! So ein Quatsch! Ich sollte das verdammte Käsebrötchen sofort wieder einpacken und flüchten. Zu spät, die Maschine rollt bereits auf ihre Startposition.
Der Hinbringerflug verläuft ohne Komplikationen.
Ich schlage mich zur Lichtjahre entfernten Gepäckausgabe durch, wo ich mich bei einer Stewardess nach dem schnellsten Weg zum Terminal 2 erkundige.
«Mit der Rolltreppe nach oben, dann rechts. Der Skyline ist aber ausgefallen und wird durch Busse ersetzt. Sie müssen sich dann nochmal erkundigen.»
Busse? Was kommt als Nächstes? Es ist kurz vor halb sechs, das schaffe ich niemals! Panischer Anruf bei der REWE Touristik. Zum Glück wird mir beschieden, dass ich das Ticket
nicht
abzuholen bräuchte, mein Pass würde genügen. Neue Hoffnung. SMS an C.: «Wie sieht’s aus?» – «Soeben gelandet.» Jetzt wird doch noch alles gut, denke ich, am Ende wird sowieso immer alles gut. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Und wo bleibt eigentlich mein verdammter Koffer? Merkwürdig, wie wenig Abweichungen es beim Gepäck
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