Heinz Strunk in Afrika
mir dabei ganz tief ins Herz geblickt, in mein unveränderliches Ich. Und das hat ihr gefallen. Deshalb, nur deshalb, gewährt sie mir eine Privataudienz. Mir als Einzigem. Die Engländer guckt sie mit dem Arsch nicht an und die Rentner auch nicht und die Rouladenbayern nicht und Familie Flodder auch nicht und die Feeder erst recht nicht. Ich bin der allererste Tourist, für den sie sich
wirklich
interessiert. Wie schön.
Da kommt sie schon wieder angefedert, ihre Bewegungen sind anmutig und grazil. Sie stellt das Tablett auf dem Beistelltisch ab und strahlt mich an. Ein Zauber umgibt diese Königin, ihre magischen Ziegenaugen funkeln im perfekt geschnittenen Gesicht. Niemals schwitzt sie, ihr Atem geht immer langsam.
«What’s your name?»
Eine unpassendere Gelegenheit, Heinz zu heißen, kann es nicht geben. Ich könnte mich mit einem anderen Namen vorstellen, mir fallen aber auf die Schnelle nur Wolfgang oder Eckhard ein. Also bleibe ich bei:
«Heinz.»
«My name is Lucy. Nice to meet you.»
Ihr Händedruck ist gleichzeitig weich und fest, kühl und warm. Ich mag gar nicht mehr loslassen.
«Oh, Lucy, yes, nice name, sounds good.»
Sie hat bestimmt nichts Geistreiches erwartet, aber vielleicht auch nicht gerade so ein grausiges Gestammel. Jetzt hab ich’s gleich wieder verbockt, denke ich. Doch der freundliche Ausdruck in ihrem Gesicht bleibt, sie fragt, ob ich schon etwas Kisuaheli gelernt hätte. Kisuaheli, nie gehört, peinlich, ich schüttle schuldbewusst den Kopf, sie hebt mahnend den Zeigefinger und sagt: «Heinz, you have to.» Ich erröte, sie setzt sich auf eine Liege und schreibt eifrig in ihren Kellnerinnenblock. Ich fühle mich wieder wie sechzehn und weiß gar nicht, wo ich hingucken soll. Sie reicht mir den Zettel, auf dem die wichtigsten Standards stehen, von «Gute Nacht»
(Lala salama)
bis «Ich liebe dich»
(Mimi nakupenda wewe)
. Ich verspreche ihr, es bis morgen auswendig zu lernen. Mit den Worten «That would be beautiful, Heinz» und einem geheimnisvollen Lächeln aus Tausendundeiner Nacht schwebt sie von dannen.
Ich liebe diese Frau, so viel ist klar. Aber ich werde mein Geheimnis bis in alle Ewigkeit für mich behalten. Aus der Ferne bete ich sie an. Muss man sich mal vorstellen: Tausende von Kilometern entfernt lebt eine Frau, die gar nicht weiß, wie sehr sie geliebt wird. Die unerfüllten Lieben sind sowieso die schönsten. Lucys Lächeln: genug, um die Sehnsucht am Leben zu halten, zu wenig, um sie jemals zu stillen. Und überhaupt: Das Geheimnis erfolgreicher Lebensführung besteht darin, die Erfüllung seiner Sehnsüchte zu vermeiden. Was zählt, ist der innere Zustand des Verlangens. Meine süße, kleine Lucy! Bevor mein Herz erfriert, soll es noch einmal gebrochen werden! Morgen kommt sie wieder, mich abzuhören. Abzufragen. Jawohl, das ist Liebe, denn Liebe ist unaufhörliche Befragung, es gibt keine bessere Definition. Wäre ein Stern ein Salzkorn, gingen alle Sterne, die man mit bloßem Auge sehen kann, auf einen Teelöffel, doch alle Sterne im Universum würden eine Kugel mit dreizehn Kilometer Durchmesser bilden, fällt mir ein. Nützliches Wissen. Verliebte Gedanken. Hoffentlich trampelt C. das zarte Pflänzchen nicht gleich wieder kaputt. Oder pfeift es kaputt.
«Was gibt es Neues, Bursche?»
Ständig fragt er, ob es etwas Neues gäbe, auch wenn wir nur kurz getrennt waren. Seine Begründung: Die wirklich entscheidenden Dinge passierten in Sekundenbruchteilen, Stichwort 9/11. Das sei eine unbestreitbare Tatsache, Punkt, aus, Ende der Durchsage.
«Das hörst du doch! Die Barbaren sind eingefallen. Das sind keine Menschen mehr! Ein von Rohheit und Alkohol gezeichnetes Schrumpelvolk.»
«Schon wieder ein rassistischer Ausfall! Die haben sich ihr Amüsement sicher hart verdient. Gönn denen doch ihren Spaß. Einfach nicht hinhören.»
«Nicht hinhören, nicht hinhören, wie soll das gehen? Abgesehen davon gibt es übrigens tatsächlich Neuigkeiten.»
Ich zeige ihm den Zettel und prahle, dass es mir aufgrund meiner gewinnenden Art gelungen sei, Kontakt zum Personal zu knüpfen. Die Schwärmerei lasse ich unerwähnt.
«Bist du nicht auch der Meinung, dass die Zeit denkbar knapp ist, eine
komplette Sprache
zu lernen?»
Komplette Sprache, so ein Schwachsinn. Wir sinken in die Hollywoodschaukel. Er gibt an, sich über Kenia im Speziellen und Afrika im Allgemeinen kundig gemacht zu haben. Ob ich wisse, dass die bevorstehenden Wahlen mit einschneidenden
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