Heiße Beute
Trainingsanzug.
»Heute habe ich zwar keinen Menschen erschossen«, sagte ich, »aber dafür habe ich einen Mann abgeliefert, der wegen Kreditkartenbetrugs angeklagt ist.«
Es klopfte. Mabel Markowitz steckte den Kopf durch die Tür und rief: »Hallöchen!«
Wie gesagt, meine Eltern wohnen in einem Zweifamilienhaus. Ihnen gehört die südliche Hälfte, die nördliche Hälfte gehört Mabel Markowitz. Von den Nachbarn trennen uns eine gemeinsame Innenwand und ein jahrelanger Streit über den richtigen Hausanstrich. Mabel hat Sparsamkeit zur Religion erhoben, aus purer Notwendigkeit; sie lebt von Sozialhilfe und Erdnussbutter aus staatlichen Lebensmittelreserven. Izzy, ihr Mann, war ein guter Ehemann, aber er hat sich früh zu Tode gesoffen. Die einzige Tochter starb vor einem Jahr an Gebärmutterkrebs, ein Monat darauf kam der Schwiegersohn bei einem Autounfall ums Leben.
Jegliche Bewegung am Tisch kam zum Erliegen, und wir sahen hinüber zur Haustür, denn in all den Jahren, die Mabel nun Wand an Wand neben uns wohnte, hatte sie uns noch nie beim Essen mit einem »Hallöchen« beglückt.
»Ich wollte Sie nicht beim Essen stören«, sagte Mabel. »Ich wollte Stephanie nur fragen, ob sie nachher mal auf einen Sprung vorbeikommen kann. Ich hätte da eine Frage zu so einer Kautionssache. Es ist für eine Freundin.«
»Klar«, sagte ich. »Ich komme nach dem Essen rüber.« Es würde eine kurze Unterhaltung werden, denn alles, was ich über Kautionen wusste, ließ sich in zwei Sätzen zusammenfassen.
Mabel ging wieder, und Grandma beugte sich vor, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. »Ein bisschen viel
Hallöchen
für einen Ratschlag, der nur für eine Freundin sein soll. Jede Wette, dass sie Mabel hochgenommen haben.«
Alle verdrehten gleichzeitig die Augen.
»Na gut«, sagte Grandma. »Kann sein, sie braucht wirklich einen Job. Vielleicht will sie Kopfgeldjäger werden. Wo sie doch immer nur gerade so über die Runden kommt.«
Mein Vater schaufelte gesenkten Hauptes das Essen in sich hinein. Er nahm die Schüssel Kartoffelbrei und klatschte sich einen Nachschlag auf den Teller. »Meine Güte«, murmelte er.
»Wenn einer in Mabels Familie eine Kaution braucht, dann der Exmann ihrer Enkelin«, stellte meine Mutter fest.
»Der treibt sich seit einiger Zeit mit einigen finsteren Gestalten herum. Evelyn hat klug daran getan, sich von ihm scheiden zu lassen.«
»Ja, ja, die Scheidung war eine ziemlich scheußliche Angelegenheit«, sagte Grandma zu mir. »Fast so scheußlich wie deine.«
»Ich habe Maßstäbe gesetzt.«
»Du warst einfach Klasse«, sagte Grandma. Meine Mutter verdrehte erneut die Augen. »Eine Schande war das.«
Mabel Markowitz wohnt in einem Museum. Sie heiratete 1943 und besitzt immer noch ihre erste Stehlampe, ihre erste Topfpflanze und ihren ersten Küchentisch aus Chrom und Resopal. Ihr Wohnzimmer wurde zuletzt 1957 frisch tapeziert, die Tapetenblumen sind verblichen, der Kleister hat gehalten. Den Boden schmückt ein dunkler Orientteppich, und die Polstermöbel hängen in der Mitte ein bisschen durch, darauf die Abdrücke von Hintern von Menschen, die längst verzogen sind, entweder gen Himmel oder nach Hamilton Township.
Den Abdruck von Mabels Hintern jedenfalls sucht man auf den Polstern vergeblich, denn Mabel ist ein wandelndes Skelett, das niemals zur Ruhe kommt. Mabel backt und putzt und geht auf und ab und telefoniert dabei gleichzeitig noch. Sie hat wache Augen, ist leicht zum Lachen zu bringen, schlägt sich auf die Schenkel und wischt sich die Hände an der Schürze ab. Ihr Haar ist dünn und grau, kurz und lockig. Das Gesicht wird als Erstes allmorgendlich kreideweiß geschminkt. Stündlich trägt sie rosa Lippenstift auf, der in die tiefen Falten um den Mund herum ausläuft.
»Stephanie«, sagte sie, »schön, dass Sie da sind. Kommen Sie herein. Darf ich Ihnen ein Stück Mokkakuchen anbieten?«
Mrs. Markowitz hat immer Mokkakuchen im Haus. Das ist so üblich in Burg. Die Fenster sind geputzt, die Autos groß, und immer gibt es Mokkakuchen.
Ich nahm am Küchentisch Platz. »Ich muss gestehen, ich kenne mich mit Kautionen gar nicht aus. Mein Vetter Vinnie ist der Experte auf diesem Gebiet.«
»Eigentlich geht es gar nicht um Kautionen«, sagte Mabel.
»Ich muss eine bestimmte Person finden. Und dass ich nur für eine Freundin frage, das war geschwindelt. Die Sache ist mir unangenehm. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
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