Heiße Kuesse im Paradies
Häusern sein konnte, hatte sie jedoch vergessen. Der Kontrast zwischen dem Tageslicht und der Wärme draußen und der Dunkelheit und Kälte drinnen war unheimlich, ja fast ein bisschen gespenstisch.
Sie hätte Jeannie Gerardo anrufen können, ihre beste Freundin von der High School, die nur ein Stück die Straße hinunter wohnte. Dann hätte sie das Haus nicht allein betreten müssen. Jeannie hätte Licht gemacht und sie beruhigt. Doch das ging nicht, da Jeannie wahrscheinlich noch bei der Arbeit war.
Carrie lehnte die Haustür an und tastete sich entschlossen in die Küche vor, wo sie gegen eine harte Kante stieß. Sie unterdrückte einen Ruch und fand sich wieder zurecht. Links von der Tür befand sich ein kleiner Küchentresen, daneben der Kühlschrank, dessen Tür stets mit einem Hocker aufgehalten wurde, und dann folgte der Herd. Es war wie in einem Albtraum, klebrige, unidentifizierbare Gegenstände in der Dunkelheit zu berühren, auf der Suche nach den
Streichhölzern, die ihre Mutter immer in dem Porzellantopf neben dem Herd aufbewahrte. Sie stieß auf Dosen, in denen sich noch immer Mehl, Teebeutel und Zucker befand. Auch die Kaffeemaschine entdeckte sie, und einen Plastikbehälter mit Putzschwämmen. Schließlich fand sie die Streichhölzer. Sie riss eines am Steinkamin an, und die Flamme erhellte die staubigen Möbel, Spinnweben und den Schimmel.
Carrie tastete sich zum Sicherungskasten weiter. Es gab eine große Sicherung für alle Anschlüsse. Sie schraubte sie ein, und sofort ging überall das Licht an. Der Anblick, der sich ihr bot, entsetzte sie. Mäuse und andere Kreaturen hatten das Haus übernommen. Überall gab es Spuren, die in die Küche führten, außerdem Spinnweben und Staub, zerrissenes Zeitungspapier und Stoff, wurmzerfressenes Holz neben dem Kamin.
Im Kühlschrank und um den Herd befanden sich
vergammelte Sachen. Der Linoleum war mit irgendeiner undefinierbaren Substanz verklebt. Das Badezimmer war modrig und voller Spinnweben, und der Boden der Dusche war mit wer weiß was bedeckt.
Carrie konnte es fast nicht ertragen, das Zimmer ihrer Mutter zu betreten. Es befand sich an der Rückseite des Hauses und bot einen Blick auf den See. Ihre Mutter hatte die Aussicht geliebt. Carrie betrat das Zimmer, und während sie sich umschaute, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Alles aus Stoff oder Wolle war zerfressen, klamm und schmutzig. Carrie machte sich in Gedanken Notizen, während sie den Raum genau untersuchte. Sie würde etwas wegen der Matratze unternehmen müssen. Alles, was sich im Schrank befand, würde sie verbrennen müssen. Als sie das Zimmer wieder verließ, zitterten ihre Hände.
In ihrem Schlafzimmer war lediglich die Daunensteppdecke relativ unberührt. Sie konnte sie über das Verandageländer legen, sie ausklopfen und lüften. Bis das Haus gereinigt war, würde sie auf dem Sofa schlafen.
Entmutigt ließ sie sich auf den hölzernen Schreibtischstuhl in dem kleinen Arbeitszimmer neben ihrem Schlafzimmer sinken. Es lag noch so viel Arbeit vor ihr, ehe sie anfangen konnte, ein neues Leben zu beginnen.
Es gab nicht einmal einen Fernseher oder ein Radio. Und sie hatte ihren gesamten Besitz verkauft, bevor sie zurückgekehrt war. Wahrscheinlich sollte sie dankbar sein, dass es nicht durchs Dach regnete. Aber sie empfand überhaupt keine Dankbarkeit. Sie ballte die Fäuste und unterdrückte nur mit Mühe ihre Tränen. Ihr blieb keine andere Wahl; sie würde hier neu anfangen müssen, und sie weigerte sich, in Selbstmitleid zu versinken. Immerhin besaß sie etwas. Sie hatte ein Dach über dem Kopf und Geld für ein paar Monate. Außerdem verfügte sie über Talent und Entschlossenheit. Viele Leute mussten mit weitaus weniger einen Neuanfang wagen. Sie hingegen brauchte nur die Fensterläden zu öffnen und das Haus zu reinigen.
Sie würde sofort Jeannie anrufen, was sie eigentlich erst morgen hatte tun wollen. Aber sie brauchte heute Abend eine Freundin.
2. KAPITEL
Jeannie Gerardo lebte eine halbe Meile von Carrie entfernt in einem Haus, das schon vor Carries Geburt im Besitz der Gerardos gewesen war. Sie erwartete Carrie bereits an der Tür und sah keinen Tag alter aus als zu der Zeit, als Carrie fortgegangen war.
"Komm in die Küche und trink einen Kaffee", forderte Jeannie sie auf, und erneut hatte Carrie das Gefühl, in die Vergangenheit zurückzukehren. Die Küche war noch ganz genauso wie früher. Der Tisch war sauber und frei, und drum herum standen die gleichen
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