Heiße Schatten
Sieg auf ganzer Linie verkündet. »Süße, er hat dich total verzaubert. Du leuchtest ja geradezu. Du könntest wahrscheinlich den besten Sex deines Lebens kriegen!«
Ich blicke sie an. Hat sie recht? Falls er tatsächlich … aber würde er? Würde ich?
Allmählich kenne ich alle Einrichtungen an Bord. Die unpassendsten Schränke habe ich notdürftig mit ein paar schlanken Behältern für überlange Spaghetti oder mit Essigen, flüssigen Gewürzen und Ölen aufgefüllt, deren Flaschen flach genug waren. Das ist aber trotzdem keine Lösung, mit der ich zufrieden bin, denn die Vorratskammern sollten dem Bedarf angepasst werden, nicht umgekehrt. Die besonders schwer zugänglichen Stauräume ignoriere ich trotzig.
Wir fahren von Hafen zu Hafen an den flachen Küsten der Niederlande entlang nach Flandern. Hier wird die Küste felsiger, der Wind stärker. Ich genieße den Verlauf der Reise und die Zeiten an Deck, voller Wind und Weite.
Meine Landgänge führen immer zuerst auf die Märkte, um nach besonderen lokalen Nahrungsmitteln zu suchen wie belgische Perlhühner oder Muscheln.
Nach ein paar Tagen bei anhaltend unruhiger See erreichen wir die französische Atlantikküste, deren stürmische Winde sogar die Qantara zum Schaukeln bringen.
Als wir an Dieppe vorbeifahren, stehe ich mit Giulio an Deck. Der Himmel klärt sich langsam auf, und immer wieder durchbrechen einzelne Sonnenstrahlen die dicke Wolkenschicht.
»Bin ich froh, dass das Wetter endlich besser wird!«
»Windig ist es immer noch, aber die Sonne macht es angenehmer.«
Still genießen wir den Anblick der in Licht getauchten hohen Steilklippen, die alabasterfarben leuchten.
»Guck mal, dort drüben! Das ist das Festival International de Cerf-Volant , das große Drachenfest von Dieppe!« Giulio zeigt auf einen Strandabschnitt, von dem laute Popmusik zu uns rüberschallt. »Wir haben Glück, dass wir es sehen, denn es findet nur alle zwei Jahre statt. Es ist das größte Fest dieser Art weltweit.«
Laute, trommelnde, rockige Musik tönt bis zu uns herüber. In der Luft tanzen Dutzende bunter Drachen, die zum Rhythmus der Musik um die Wette fliegen. »Ist das schön!« Ich erfreue mich am bunten Treiben, das ich noch viel lieber mit Konstantin an meiner Seite bewundert hätte. Obwohl wir jetzt schon ein paar Tage auf dem gleichen Schiff sind, habe ich ihn immer nur flüchtig gesehen. Zu gerne möchte ich den Kuss fortsetzen, aber es ergibt sich einfach keine Gelegenheit. Meine Fantasie sprudelt über vor guten Ideen, wohin wir uns sonst noch küssen könnten …
Etwa jeden zweiten Tag kommen Gäste zum Essen. Konstantin selber ist viel an Land. Danach schickt er mir eine Liste der Geschäftspartner oder Freunde inklusive einer Aufstellung ihrer Präferenzen oder Abneigungen gegen bestimmte Nahrungsmittel – so mag der eine vielleicht keinen Fisch, der nächste kein Lamm, manchmal liegt auch eine Allergie vor. Alles Weitere überlässt er vollständig mir. Ich kann mich hemmungslos ausleben, allerdings hat er mir den Tip gegeben, bei den Geschäftsleuten auf frivole Dekorationen lieber zu verzichten.
So beschränke ich mich für die offizielleren Essen auf symbolträchtige Verzierungen, die den Gästen das gute Gefühl vermitteln, mit ihrer eigenen Kultur willkommen und Teil einer Gemeinschaft zu sein. Dazu gehören Halbmonde für Besucher aus islamischen Ländern ebenso wie rot-blaue Farben für Engländer und Amerikaner, duftende Piniennadeln für diejenigen, die sich an die Nadelbaumwälder ihrer Heimat erinnert fühlen können, rot-weiße Farben für die Schweizer oder noch individuellere Kreationen für Gäste, deren Hobbys bekannt waren.
Zum Beispiel ist der Sicherheitshaken für den Reserveschirm wie ein Kreis mit einem gebogenen Haken geformt. Konstantin schaute zunächst kritisch – dies hätte anzüglich interpretiert werden können –, aber sein Gast hatte den Haken, dem viele Fallschirmspringer ihr Leben verdanken, sofort erkannt und beide hatten ein Thema für lange Gespräche. Ich vermute, das Geschäft kam zustande, so herzlich wie die beiden sich verabschiedet haben. Gestern hatte ich Kaviar so angeordnet, dass er wie aufsteigende Luftblasen eines Lungenautomaten für die Taucher ausschaute. Als Chef-de-Cuisine verschaffe ich mir gerne einen persönlichen Eindruck davon, wie zufrieden die Gäste sind. Ich glaube, ich mache meine Sache wirklich gut. Schon zweimal habe ich ein anerkennendes Heben der Augenbrauen von Konstantin
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