Heiße Sonne der Verführung
ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Aufgaben zuwandten. Domingo schaute von den Karten auf, die er gerade studierte, und beobachtete seinen Captain, wie dieser das Deck mit donnernden Schritten marterte. Dann schüttelte er seufzend den Kopf. Auch Lougière beobachtete Ransoms ungewöhnliches Verhalten, dann konzentrierte er sich jedoch wieder auf seine Bestandsaufnahme. Dahreins Gesicht war von Sorge gezeichnet, denn er fürchtete um seine Finger »Ihr müsst etwas unternehmen, sahib. Sie antwortet nicht, niemandem«, bat der Junge ihn leise, als könnte er durch eine laute Stimme das ruhelose Umherschreiten des Mannes stören. Ran hörte auch tatsächlich nicht auf damit; genauso wenig, wie er antwortete. Es waren nun schon beinahe zwei Tage vergangen, und Aurora war noch immer eifrig mit dem fiebernden Baynes beschäftigt, ohne Nahrung oder Wasser und ohne Pause, obwohl ihre Bewegungen mit jeder Stunde vor Erschöpfung schwerfälliger wurden. Mehrere Male hatte er sie angesprochen, hatte sie angefleht, eine Pause einzulegen; sie hatte ihn jedoch einfach ignoriert, als hätte er gar nichts gesagt, als würde er überhaupt nicht existieren.
Und eine Zeit lang stellte er sich vor, dass sie den jungen Leelan in eine andere Welt mitgenommen haben könnte.
Verdammter Zauber, dachte er.
Ihre Bewegungen waren mechanisch, ihre tiefe und kehlige Stimme versuchte aber, den Bootsmannsgehilfen zu überreden, sich zu wehren. Sie hatte sie gewarnt, sie nicht zu unterbrechen, und sie hatte sie darüber informiert, dass Baynes’ Zustand sich erst einmal verschlechtern würde, bevor er seine Gesundheit wiedererlangen konnte. Buckland dachte anders darüber und versuchte bei jeder ihm sich bietenden Gelegenheit, seinem Pessimismus Ausdruck zu verleihen, bis seine Verspottung Ran an die Grenzen seiner Geduld getrieben hatte.
Der gute Doktor wurde in seine Kabine gesperrt.
Ran presste eine Hand auf sein Gesicht und rieb sich dann seinen Nacken.
Die Red Lion war eine Nachtfahrt von ihrem Treffen mit der Morgan entfernt, dem Schiff, das auf Rans Geheiß hin Aurora zu welcher Küste auch immer sie wollte bringen sollte. Es war nicht möglich, mit ihr zusammen an Bord zu leben, ohne durch ihr ungezügeltes Verhalten verführt zu werden. Er war verdammt unfair, dieser wilde Ritt zwischen unverhohlenem Verlangen und bitterer Wut, und er würde sich oder sie nicht länger in diese Lage bringen, denn er hatte nicht länger die Kraft, den Versuchungen zu widerstehen.
Egal, wie süß sie auch küsste. Sie musste gehen. Ja, er vertraute sich selber nicht, dass er sie nicht womöglich ein zweites Mal verletzte. Denn der Verzückung, sie zu berühren, konnte kein sterblicher Mann widerstehen.
Er drehte sich auf dem Absatz um, fuhr jedoch sofort zusammen und blieb stehen, denn Shokai stand plötzlich vor ihm, ein Tablett voller dampfender Becher in der Hand.
Bei Gott, dieser Mann hatte die unheimliche Fähigkeit, wie mit dem Wind zu erscheinen und wieder zu verschwinden!
Eingehüllt in die Gewänder und Schärpen seines Volkes, stand Shokai trotz des schaukelnden Schiffes bewegungslos da. Das kam zu Rans Sorgen noch hinzu.
Er nahm sich einen Becher vom Tablett und stieß dabei auf die schmalen, schräg gestellten Augen, die ihn dunkel und unergründlich und herausfordernd anschauten. Shokai hatte die Aufgaben des Kochs übernommen, nachdem der während der Konfrontation mit der Black Star getötet worden war. Shokai hatte deswegen nicht um Erlaubnis gefragt. Dieser Mann, so erfuhr Ran, redete nur wenig und tat sowieso stets das, was er wollte. Und es war deutlich, dass er Ran nicht mehr traute, wenn er ihm überhaupt jemals getraut hatte.
»Geht es Euch gut genug, um auf den Beinen zu sein?«, wollte Ran von ihm wissen, wobei er ihn über den Rand seines Bechers anschaute.
»Ja, aber selbst Fische und Gäste stinken nach drei Tagen.«
Ein Lächeln zog über Rans Lippen. Als er an dem Kaffee nippte und dessen Sämigkeit bemerkte, musste er daran denken, dass das Essen sehr viel besser schmeckte, seit Shokai sich darum kümmerte.
Der Lärm auf dem Schiff erstarb plötzlich, und Rans Stirn legte sich in dichte Falten; langsam nahm er den Becher vom Mund und suchte mit verengten Augen das Schiff ab.
»Ran?«, meldete sich Domingo. Als er sich daraufhin umdrehte, wies der Spanier unter Deck.
Rans Gesichtszüge spannten sich. »Aurora«, hauchte er, und Domingo musste in sich hineinlächeln.
Aurora schritt apathisch auf das Hüttendeck
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