Heißes Geld
ich dir alles sagen«, versetzte er, »aber nicht jetzt, nicht am Telefon. Nun hör mir gut zu. Ich weiß, daß du sehr aufgeregt bist, konzentriere dich bitte und sei kein kopfloses Huhn.«
»Ja, aber …«
»Ich bin unterwegs.«
»Hierher?«
»Zu dir«, antwortete er.
»Aber wieso ist es auf einmal möglich?« fragte sie.
»Ich sagte dir doch«, erwiderte er leicht gereizt: »Unsere Zukunft hat schon begonnen. Du mußt mir nur ein bisschen dabei helfen …«
»Und ob ich dir dabei helfe«, entgegnete Hannelore. »Wann kommst du?«
»Morgen.«
»Werner, sag das noch einmal, bitte, ich bin unfähig …«
»Gut«, antwortete er. »Ich werde dir noch eine ganze Menge sagen, altes Mädchen.« Er wurde ganz deutlich, sprach wie ein 18jähriger, nicht wie einer mit 58, und einen Moment fragte sich Hannelore erschrocken, ob er nicht etwa nur zuviel getrunken hätte. Aber es war überflüssig, denn ob Horst getrunken hatte oder nicht, das witterte sie über Raum und Zeit hinweg genauso, wie wenn er sie mit einer anderen Frau hinterging. Freilich hatte sich Horst, so lange sie ihn kannte, früher an scharfe Sachen gehalten – im Glas wie im Bett.
Als Hannelore nach wenigen Minuten die Kabine verließ, hatte sie rote Flecken im Gesicht. Sie ging mit taumeligen Schritten, als tastete sie sich über ein Hochseil, und schwindelfrei war sie noch nie gewesen. Sie setzte sich an ihren Platz und starrte mit vollem Gesicht ins Leere.
»Dieses Mal hat's wohl geklappt, gnä' Frau«, sagte der Barkeeper.
»Ja«, antwortete Hannelore und lächelte, und der Mann mit der weißen Jacke staunte, um wieviel ein Lächeln auch noch eine ältere Frau verjüngen konnte: »Ja«, wiederholte die Besucherin, die sonst keine Silbe zuviel sprach. »Es hat geklappt. Es hat wirklich geklappt.«
Hannelore griff nach ihrer Tasche, als wollte sie bezahlen. Und dann glaubte sie, daß ihr so viel Glück nicht allein zustünde, daß sie es mit einem anderen teilen müsse. Ein seltsamer Gedanke fraß sich fest: »Sagen Sie«, überrannte sie ihren Widerstand. »Was würden Sie trinken, wenn Sie eine außergewöhnlich gute Nachricht …«
»Sekt, Madame«, entgegnete der Ober lachend. »Ich will wirklich nicht auf Umsatz machen«, versicherte er, »aber wenn ich mir Ihr Gesicht so ansehe, vielleicht sogar Champagner.«
»Champagner«, entschied Hannelore. »Und zwei Gläser, bitte.«
Sie, deren Arroganz und Unnahbarkeit in Hartmannsberg im Chiemgau sprichwörtlich waren, weil sie fast nie ein privates Gespräch mit den Einheimischen führte, stieß mit einem Unbeteiligten an und verstand auf einmal, warum Horst so gerne trank. Sie kam sich leicht vor, schwerelos, und hatte auf einmal Schwierigkeiten mit dem Denken.
»Vielleicht bin ich in Wirklichkeit Hans Huckebein, der Unglücksrabe«, sagte sie lachend, als sie bezahlte, »aber ich muß es Ihnen sagen, auch wenn Sie mich für eine törichte, alte Gans halten …«
»Aber, gnä' Frau …«
»Ich werde wieder heiraten«, sagte Hannelore und ließ das letzte Glas stehen, hielt sich einen Moment lang an der Bar fest, merkte, daß sie aufrecht gehen konnte und sagte sich, daß sie jetzt gehen müsse, bevor sie den Keeper als Trauzeugen zu ihrer Hochzeit einladen würde.
Der alte Mann hatte seit vielen Jahren einsam und zurückgezogen gelebt, aber er war in Wirtschaftskreisen viel zu bekannt, um unbemerkt sterben zu können. Zwar fehlte in den Inseraten-Plantagen der New Yorker Zeitungen seine Todesanzeige, aber die Blätter berichteten dafür ausführlich im redaktionellen Teil über das Lebenswerk des ›Eremiten von Wallstreet‹, und so mussten sich die Großen des Geschäftslebens bei launischem Aprilwetter auf Brooklyns Armenfriedhof bemühen, um Aaron S. Greenstone die letzte Ehre zu erweisen. Obwohl der Verstorbene weder Angehörige noch Freunde hinterlassen hatte, gerieten die Trauergäste an seinem offenen Grabe in dichtes Gedränge.
Für Henry W. Feller war es ein Pflichtbesuch, den er mit Anstand hinter sich bringen wollte. Er wußte noch nicht, daß ihn der stille Tod dieses Klienten über Monate hinweg beschäftigen und durch die halbe Welt hetzen würde.
Er hielt sich im Hintergrund, stand neben dem Senior der bekannten Anwaltsfirma Brown, Spencer & Roskoe, einen Kopf größer, der designierte Nachfolger, 39, neben dem 70jährigen Firmenchef. Er betrachtete die illustre Versammlung gewichtiger Herren in dunklen Anzügen. Ihre Gesichter wirkten feierlich, auch wenn die
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