Heißes Geld
um 4,2 Prozent anheben müssen«, repetierte Sabine unaufgefordert und sah ihn an.
»Mein Gott, sind Sie tüchtig, Sabine«, quittierte er die sanfte Mahnung. »Schlußabsatz«, kürzte er das Diktat ab, »Gesteigerte Lohn- und Materialkosten, Hoffnung auf Verständnis und weitere gute Zusammenarbeit – Sie sind ja ein kluges Kind, Sabine, Sie bringen das auch alleine hin.«
»Besten Dank, Herr Direktor.«
»Warum so förmlich?«
»Weil es sich so schickt«, entgegnete Sabine mit einem geronnenen Lächeln.
»Und Sie halten sich immer an das Schickliche?« spöttelte er.
»Machen Sie mir bitte eine Tasse Kaffee«, sagte er, »und lassen Sie künftig diesen dummen Titel weg.«
»Wie Sie meinen, Herr …«
»Nareike«, erwiderte er mit Nachdruck. »Schlichtweg Nareike. Für Sie wenigstens.« Er machte es sich bequem in seinem Stuhl, zeigte Behagen über die Unterbrechung der Büroarbeit. »Ich hoffe, daß Sie mit mir ebenso zufrieden sind, wie ich mit Ihnen, Sabine.«
Sie hantierte an der Kaffeemaschine, kehrte Nareike den Rücken zu. Er verschlang sie mit den Augen. Er atmete schwer. Sie zeigte Haut, viel bloße Haut, und obwohl sie weit weg war, meinte er ihren Duft zu riechen. Sabine hatte eine Ähnlichkeit mit der Tochter des Vichy-Ministers, mit der er sich heimlich getroffen hatte. Zuerst mit der Mutter, dann mit der Tochter, und zuletzt mit beiden zusammen zur ménage à trois. Aber daran dachte er besser nicht. Paris war weit weg und aus seinem Leben gerückt, aber Sabine, diese lässige Blondine mit den aufreizenden Bewegungen war nahe.
»Das Personalbüro moniert die Urlaubsliste«, sagte sie.
»Ach ja.« Er öffnete die Schublade, schob ihr das Rundschreiben zu. »Tragen Sie sich bitte noch ein«, sagte er. »Haben Sie schon ein Urlaubsziel?«
»Ja«, entgegnete Sabine. »Den Süden. Die Sonne.«
»Spanien?« fragte der Direktor.
»Italien«, antwortete Sabine. »Ischia.«
»Allein?«
»Das weiß ich noch nicht«, versetzte sie mit einem gewissen Lächeln.
»Der Eisberg und der heiße Süden«, alberte Nareike, was er sonst nie tat. »Hoffentlich lassen die Südländer noch etwas übrig von Ihnen.«
»Männer in Haufen fürchte ich wenig«, antwortete sie.
»Sondern?«
»Einzelgänger«, entgegnete sie mit verengten Pupillen.
»Sie spielen doch nicht etwa auf mich an, Sabine?«
»Ich würde mich hüten, Herr …«
»Nareike«, versetzte er und spürte ein Verlangen, das jede Vernunft auslöschte, das ihm ins Gesicht geschrieben sein mußte und ihn noch so weit zu übertölpeln drohte, daß er dieses Mädchen in seine Arme reißen würde. Er stand auf und ging ans Fenster. Er ärgerte sich. Er könnte es nicht mehr lange durchstehen, aber die Zeit der Freiheit war in Sicht. Das Ende der Durststrecke. Er war kein Tölpel sondern ein Eroberer, wenn auch ein angejahrter, und so hieß sein Rezept: Annäherung durch Zurückhaltung. Warten auf die Gelegenheit.
»Haben Sie noch Erinnerungen an unsere gemeinsame Heimat?« fragte er unvermittelt.
»Manchmal«, erwiderte Sabine. »Doch keine angenehmen.«
Er entließ Sabine mit einem Kopfnicken und rief sie wieder zurück: »Noch ein Brief.« Er lächelte, als applaudiere er seinem Einfall. »An Fräulein Sabine Littmann«, diktierte er. »Adresse bekannt.«
Sie stutzte, sah ihn einen Moment überrascht an und begann zu stenographieren:
»Sehr geehrtes Fräulein Littmann,
in Anbetracht Ihrer ausgezeichneten Leistungen, die ich Ihnen hiermit schriftlich bestätigen möchte, können wir Ihre Probezeit als vorzeitig beendet ansehen. Sie werden ab 1. Juni im Rahmen Ihrer bisherigen Tätigkeit für mich als Direktionsassistentin arbeiten, wodurch sich Ihre Bezüge um 300 Mark monatlich erhöhen.«
Er genoß ihre Überraschung.
»Einverstanden?« fragte er.
»Einverstanden, Herr Nareike«, antwortete sie und haderte mit sich, weil sie ihm nicht herzlicher danken konnte.
Sabine ging in ihr Vorzimmer, um den Brief zu schreiben. Sie wunderte sich noch immer, daß er ihr Beförderungsschreiben nicht einer anderen Sekretärin diktiert hatte.
Sie kam nicht weit mit der Reinschrift.
Zwei Besucher erschienen; sie wurden nicht erwartet, und sie waren hier auch ungewöhnlich.
Sie wollten Werner Nareike sprechen, und zwar dringend. Der Geschäftsführer sah Sabine lächelnd entgegen.
»Zwei Herren«, meldete sie. »Ein Staatsanwalt und ein Kriminalkommissar. Vom politischen Dezernat.«
Sie sah, daß sein Gesicht grau wurde.
»Was wollen sie?«,
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