Heiter weiter
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Und das nicht nur auf seinem Gebiet. Die beiden mögen mir verzeihen, wenn ich sie als ein wenig »verhutzelt« beschreibe. Aber dessen ungeachtet sind ihre offene Art, auf andere Menschen zuzugehen, fröhlichen Augen und ihre positive Lebenseinstellung wirklich vorbildlich. So macht es Spaß, älter zu werden. Da muss man keine Angst haben. Denn »Angst essen Seele auf« heißt nicht ohne Grund ein afrikanischer Spruch, den Rainer Werner Fassbinder zum Titel eines Films gemacht hat.
Ein ehemaliger Intendant sprach in seinem letzten Jahr im Sender in den Direktorensitzungen immer davon, dass man sich, wenn man geht, »ohne zurückzusehen vom Acker machen müsse«. Vom Acker machen – das klingt nach Dreißigjährigem Krieg, nach einer Vertreibung von Haus und Hof. Nein, das ist für mein Gefühl dann doch zu negativ ausgedrückt. Aber natürlich ist der letzte Tag, die letzte Woche schon so etwas wie das Verlassen der alten Jagdgründe. Das Ende eines langen beruflichen Weges, meist in einer Festanstellung. Dazu verbunden mit vielen Emotionen und einem geistigen Wechsel.
Was wird kommen, was bleibt – und was wird ganz neu sein? Was muss ich ändern – was ist vielleicht falsch gelaufen?
Alle, die nach dem ersten Jahr im dritten Leben zurücksehen, werden diese neue, schier unglaubliche Freiheit als positiv erleben. Dieses freie Gestalten des eigenen Terminkalenders. Die Chance, Ja oder Nein zu sagen. Zudem wird uns der Terminkalender auch verblüffen. Denn er kommt uns zu Jahresbeginn noch fast jungfräulich vor. Das ist Glück und Freude.
Allerdings: Wir müssen doch einiges neu erlernen. Zum Beispiel, Nein zu sagen. Nein, wenn die vierte Anfrage in einer Woche daherkommt und der Kalender dann fast schon wieder so aussieht wie früher im Job. Im ersten Jahr jede Woche, jeden Tag auf Achse sein – so war das nicht geplant. Darum empfehle ich Ihnen, einen kleinen Trick anzuwenden, der mir beim Neinsagen hilft: zwei fette Striche an zwei Tagen jeder Woche in den Kalender. Gleich zwölf Monate voraus. Die Zeit wird einfach »frei« gehalten. Für Spontanes, dem Wetter Angepasstes. Für einen längeren Spaziergang genauso wie für einen Lesenachmittag zu Hause. Für Kochen oder Gartenarbeit, für Kino oder Freunde. Zeit für Kinder und Enkel oder Sport. Raum für all das, was im vorherigen Leben so ausgedehnt und entspannt nicht möglich war.
Oder ganz umgekehrt: Sie haben zu viel freie Zeit, zu viele Tage, an denen Sie Ihrer Beschäftigung nachtrauern. Weil es Ihnen noch schwerfällt, sich im neuen Freiraum zu organisieren. Da hilft dann dieses Buch, so hoffe ich.
Sie werden aber auch bald bemerken: Der alte Job fehlt nicht wirklich. (Wenn Sie für ein aktives Leben vorausgeplant
haben …) Denn Sie bringen sich ja in die Gesellschaft ein, sind an ganz anderer Stelle wieder mit Ihren Fähigkeiten gefordert oder haben sich vollkommen neu orientiert. Ich zum Beispiel schreibe weiter, halte auch im Rahmen meines UNICEF-Engagements Vorträge zu den Themen, die mich ein Leben lang bewegt haben: Kinder, ihr Leben und ihre Armut, Frauen und ihre immer noch defizitäre Gleichberechtigung in der Welt, Krisen und Kriege, unter denen gerade Frauen und Kinder am meisten leiden. Die Leitungsaufgaben in einem öffentlichrechtlichen Sender waren spannend – aber jetzt ist es auch gut. Jetzt sollen andere ran. Ich vermisse nichts. Ganz im Gegenteil: Zuweilen gedenke ich an manchen Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten der Kolleginnen und Kollegen in einer der unzähligen Sitzungen. Mit einem Grinsen, ich gebe es zu.
Sie werden zu einigen wenigen Ihnen besonders verbundenen Kolleginnen und Kollegen weiter Kontakt haben. Sie werden sie aber, das habe auch ich mir verordnet und vorgenommen, außerhalb des alten Arbeitsplatzes treffen. Weil das für alle Beteiligten einfacher und stressfreier ist.
Aber Sie werden auch vielen ganz neuen Menschen in Ihrem dritten Leben begegnen. In den unterschiedlichsten Bereichen. Wenn Sie einen Lehrauftrag erfüllen, wie ich, oder noch mal die Uni besuchen, dann freuen Sie sich an den Studenten und Studentinnen. An ihrem Engagement und ihrer Hoffnung auf gute Noten in den Bachelor- oder Masterarbeiten. Sie werden sich gefordert fühlen ob der jugendlichen Argumentationsfreude in den Seminaren. Werden erleben, wie der Unibetrieb heute läuft. Dabei ein Rat: Verkneifen Sie sich den Satz »Bei mir war
das alles anders …«. Die Assistenten und
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