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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
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einen Schlafplatz bekommt. Einen Schlafplatz? Es gibt nur Einzel- und Doppelzimmer, gefliest. Die einst einfache Unterkunft ist jetzt eine Nobel-Gîte. An der Rezeption sind die Preise für Souvenirs des Hauses ausgehängt. Was, wenn der Alte nicht mehr ist oder nicht mehr singt? Der singende Wirt hat den Betrieb aufgebaut, erweitert und sicher Schulden gemacht. Können die Kinder das so weiterführen? Essen und Wein fallen qualitativ und quantitativ schlechter aus, als ich es in Erinnerung hatte. Den anderen hat es geschmeckt. Bin ich heute zu missmutig, fußschmerzbedingt? Singen kann er noch, der Wirt - hatte wohl einen im Tee. Hat er sich etwa an unserer Weinration zu schaffen gemacht?
    Sollte ich noch einmal in Ostabat übernachten, so wird es in der ruhigen Gîte in der Ortsmitte sein.

Wenn ich doch wenigstens nach Santiago de Compostela käme

    Die gestrige Nacht im Ostabat sollte meiner Planung nach die vorletzte im französischen Baskenland sein. Doch ich werde einige Ruhetage einlegen, um meinen Fuß zu schonen und auch um ideales Wetter abzuwarten: Ich möchte die Pyrenäen bei guter Fernsicht überqueren, genügend Zeit ist ja jetzt vorhanden.
    Larceveau bietet Bäckerei und Apotheke. Ich habe keinen Bedarf, weder für dies noch das. In Gamarthe verspüre ich Lust auf ein Gläschen, doch gibt es hier keine Bar. Dafür werkeln an einem Festzelt sieben oder acht, na, sechzehnjährige Mädchen. Bauen die ab oder auf? Hinter dem Thresen stehen Flaschen, - noch oder schon? Heute ist Montag, sicher ist das Fest gehalten. Ich spreche eine der junge Damen an. „Beltza bat?“ - „einen Schwarzen“, bedeutet aber „einen Roten“. Und es funktioniert! Mein Baskisch hat funktioniert! Ein Glas wird gefüllt. Obwohl das Zelt abgeschlagen wird, fragt mich das Mädchen nach einer Weile: „Beste bat?“ -noch einen? Sie füllt das Glas, gratis. „Eskerrik asko“, vielen Dank. Mit „agur“ verabschiede ich mich und strahle stolz. Das Mädchen entgegnet „Auf Wiedersehen“. „Sie sprechen Deutsch?“, frage ich entgeistert. Sie lacht und meint: „Meine Mutter ist eine Schlamp.“ Wer hat ihr so etwas beigebracht? Wo?
    Schweiß rinnt von der Stirne auf die Nasenspitze und tropft von da auf die Piste. Käfer und Kräuter freuen sich über das unverhoffte Nass, das der Wetterbericht nicht vorhersagte. Obwohl ich genug Wasser zu mir nehme, kann ich selten den Wegesrand befeuchten, die Flüssigkeit verdunstet wohl vorher. Gegen Abend gibt sich die Sonne altersmild, nicht mehr so unbarmherzig.
    Viele Pilger beginnen in Saint-Jean-Pied-de-Port ihre Wanderung nach Santiago. Für mich soll es nur Zwischenstopp sein, ich befürchte aber, es ist Endstation. Ich kann kaum noch laufen. Da ist etwas kaputt im Fuß. Irgendetwas gerissen, gedehnt, geprellt. Oder gebrochen? Fußbruch bedeutet Abbruch. Eine Fraktur wäre ein eindeutiges Urteil: Abreise. Das will ich aber nicht glauben, will ich nicht wahrhaben. Wenn ich es doch bis nach Santiago schaffen würde! Eine kleine Zeltstadt ist auf dem Campingplatz entstanden. Mein Zelt ist umringt von Zelten anderer Pilger und Wanderer, die nur eine Nacht bleiben. Ich werde den Fuß kurieren, bevor ich weiterwandere.
    Der Mond konkurriert mit silbernen Wolken, Sterne schauen zu. Vor dem nachtblauen Himmelhintergrund wehen im weichen Wind rot-weiß-grüne Wimpel: die baskischen Farben. Der gotische Torbogen in der mit Schießscharten perforierten Stadtmauer wird stolz angestrahlt. Es ist angenehm warm. Sternennachtessen im Straßenlokal. Ich bin zufrieden. Aber bin ich deshalb so weit gelaufen?

Bruchrechnung beim Heiligen Johann am Fuß des Passes

    Rucksackbepackte Pilger ahnen und bahnen ihren Weg durch Touristen-Massen. Touristen-Gassen sind gesäumt mit Geschäften, die Souvenirs vielerlei Art feilbieten: Baskenmützen und Bademäntel, Sonnenuhren und Regenschirme, Kaffeemühlen, Kuhglocken, Waschlappen, Wanderstäbe, Ledertaschen, Taschenmesser - alles verziert mit kleinen roten Paprikaschoten: Piments. Schäfchen, Püppchen und Pilgerchen, Kochschürze, Kochlöffel und Kochtopf, Kleiderbügel, Bügeleisen und Hufeisen - alles verziert mit roten Paprikaschoten. Roter Paprika überall: frisch oder getrocknet oder aus Plastik.
    Nicht nur Nippes, Nützliches wird auch angeboten: Brot und Käse, Wein und Wurst, Gewürze und Gemüse. Der Händler trägt eine Baskenmütze, geschmückt mit roter Schote.
    Mein Fuß schmerzt. Auch wenn ich ständig daran denke: An eine Weiterwanderung

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