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Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
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des Campingplatzes aufsuchen. Aber im Dauerregen? Und dann wieder mit den nassen Klamotten ins Zelt? Außergewöhnliche Situationen rechtfertigen außergewöhnliche Lösungen.

Ich werde meine Wanderung nach Santiago beenden. Ultreja!

    Am Morgen regnet es noch. Ich traue mich kaum, weiterzuschlafen: Arzttermin nicht verpassen! Als ich erneut erwache, ein anderes Bild: Die Wolken haben sich verzogen, sanfte Sonnenstrahlen trocknen mein Zelt. Mit Schrecken stelle ich fest, dass sich auf meinem Rucksack Schimmel gebildet hat. Wer rastet, der schimmelt! Auf dem Platz ist schon einiges los. Junge Menschen, vom Fest angelockt, nehmen vor ihren Zelten bereits einen Früh-Anis. Ich nehme behutsam meine Plastiktüte und gehe diskret zwischen der jugendlichen Bohème zum Mülldepot. Ich bin erleichtert, nicht nur weil die Tüte dichtgehalten hat. Absätze und Stöcke klacken auf dem Kopfsteinpflaster: Pilger verlassen mit weit ausholendem Schritt Saint-Jean-Pied-de-Port. Bestes Wanderwetter.. Ich will mit! Doch der Fuß - nein, er schmerzt weniger, deutlich weniger! Auswirkung der Ruhetage? Wie damals in Neuenburg? Ich spüre kaum Schmerzen. Psychologie? Mir ist es peinlich, den Arzt wegen einer Bagatelle zu belästigen. Auf dem Weg ins „cabinet médical“ meldet sich der Schmerz zurück. Zunächst leicht, dann immer stärker. Die letzten Meter zur Praxis kann ich kaum gehen.
    Auf dem Stuhl im Wartezimmer bittet ein Schild: „Merci de ne pas coller du Chewing gum sous les chaises.“ Nein, mache ich doch nicht.
    Auf dem Stuhl bei Docteur Setoain erfahre ich: „Nur überlastet - aber ich lasse den Fuß zur Sicherheit noch röntgen. Die Klinik ist in der Nähe.“ Auf dem Stuhl bei Docteur Larroude, Röntgenarzt. Er spricht nicht Deutsch, nicht Englisch. Eine deutliche Sprache spricht das Röntgenbild: Bruch! Bruch bedeutet Abbruch! Das war mir vor Tagen schon bewusst geworden: Bruch bedeutet Abbruch! Da hatte ich noch Hoffnung. Hatte überlegt, was alles dem Fuß geschehen sein konnte und welche Konsequenz jeweils daraus zu ziehen wäre. Eindeutig und klar war: Bruch bedeutet Abbruch! Auf dem Weg zwischen Klinik und Cabinet médical liegt der Bahnhof. „Frankfor, pardon, Gelnhausen.“ „Aller simple? „Simple!“ Einfach. Jetzt gibt es kein zurück. Auf dem Weg zwischen Klinik und Cabinet médical liegt auch die Paris-Bar. „Beltza bat.“ Und: „handi.“ Groß.
    Docteur Setoain schüttelt traurig sein Haupt und deutet auf die Aufnahme: Ermüdungsbruch. Eine dunkle Linie zieht sich durch hellgrauen Knochen -wie ein Weg durchs Gebirge, wie der Jakobsweg durch die Pyrenäen. „Simple.“ Kein Weg mehr zurück? Unsinn! Das ist nicht das Ende meiner Wanderung. Nur eine Rast, eine lange Ruhepause. Es wird weitergehen, ich werde weitergehen. Ist der Fuß auch gebrochen, meine Wandermoral ist ungebrochen. Würde ich aufgeben, hätte ich von meinem bisherigen Weg nichts gelernt. Ultreja! Ich werde weiterwandern, irgendwann. Weiter nach Santiago de Compostela! Ultreja!

„Bitte einmal einfach von Gelnhausen nach Saint-Jean-Pied-de-Port - das ist in Frankreich.“ Die Eisenbahnfahrt dauert gut achtzehn Stunden. Zu Fuß benötigte ich im vergangenen Jahr achtzig Tage, in dieser Zeit reist man um die Welt. In Bayonne steigen einige Rucksackbeladene ein. Erfahrene Santiago-Veteranen suchen zwecks Beratung das Ohr der Pilger-Novizen. Erfahren im Wortsinn: „Da nimmst du besser den Bus. Oder ein Taxi.“
    Früher hat man vor den schwierigen Passagen den lieben Gott angerufen, heute die Taxizentrale. Im Waggon trennt sich die Spreu vom Weizen: „Orisson?“ wird geraunt und stolz hinzugefügt: „Wir haben reserviert!“

    Von St. Jean aus erreicht man die Herberge Orisson nach etwa acht Kilometern. Von da sind es bis Roncesvalles, der nächsten Übernachtungsmöglichkeit, weitere neunzehn Kilometer. Es ist ratsam, sich gerade zu Beginn nicht zu überanstrengen.
    Die erste Etappe bereits in Orisson zu beenden, kann daher sinnvoll sein. Das Haus steht erst seit wenigen Jahren dem Pilger offen. Doch Hunderte von Jahren hindurch haben Millionen ohne Zwischenstopp den Weg durch die Pyrenäen bewältigt. Es sind täglich, nicht nur in der Hauptsaison, mehr Wanderer unterwegs, als man in Orisson aufnehmen kann. Und diese Pilger, die meisten ungeübte Wanderer, kommen lebendig in Roncesvalles an.

    Auch das kann geschehen: Der große Tag ist gekommen: Wanderstart in Saint-Jean-Pied-de-Port! Der Neuling ist froh, einen erfahrenen

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