Helden
Ich sah die zartgrünen Blätter und war erleichtert.
Es gab also doch ein Vergessen, und nach dem nächsten Regen würde der Bahndamm bestimmt wieder grün sein. Er würde grün sein, obwohl ich mir das nicht wirklich vorstellen konnte, weil ja immer noch der beißende Brandgeruch in meine Nase stieg.
»Bewegt euch nicht«, sagte Felix. »Und seid leise, wenn sie kommt. Sie darf uns auf keinen Fall bemerken.«
Er zeigte auf Fräulein Fontanas Haus. Wir sahen das weit geöffnete Badezimmerfenster. Und dann blieb mir die Spucke weg.
Fräulein Fontana kam ins Badezimmer.
»Jetzt«, flüsterte Felix.
Fräulein Fontana zog ihren Morgenmantel aus und stellte sich splitternackt ans offene Fenster. Mit geschlossenen Augen hielt sie das Gesicht in die Sonne. Die schwarzen Haare, die sie sonst immer hochgesteckt hatte, fielen offen über ihre Schultern.
Sie hatte große Brüste, und wir konnten ihre dichten lockigen Schamhaare sehen. Corinna Thiemann machte die Augen zu.
»Guck doch hin«, flüsterte Felix. »So was sieht man nicht jeden Tag.«
»Ich will das aber nicht sehen. Das ist ekelhaft«, flüsterte Corinna.
Fräulein Fontana stellte einen Fuß aufs Fensterbrett und fing an sich einzucremen.
Felix grinste. »Na, hab ich zu viel versprochen? Vor dem Duschen cremt sie sich immer ein.«
»Du bist doch pervers«, zischte Corinna.
Ich wollte zwar weggucken, aber ich konnte nicht. Das war ein ganz komisches Gefühl. So eine Mischung aus sich schämen und neugierig sein, aber insgeheim wünschte ich doch, Fräulein Fontana würde das Fenster zumachen. Als sie sich umdrehte, konnten wir sehen, dass ihr die schwarzen Haare fast bis zum Po reichten. Sie stellte die Dusche an und zog den Duschvorhang hinter sich zu.
Im selben Augenblick war Corinna aufgesprungen. Sie rannte mit gesenktem Kopf den Trampelpfad zurück. Felix und ich rannten hinter ihr her.
»Bleib stehen!«, rief Felix unten auf der Straße. »Bleib doch stehen! Corinna! Wo willst du denn hin?«
Aber Corinna blieb nicht stehen. Sie rannte einfach weiter.
»Blöde Kuh«, murmelte Felix. »Hinter der renne ich doch nicht her.«
Er drehte um und schlenderte langsam in Richtung Garage. Am liebsten wäre ich auch weggerannt, aber ich ging mit.
»So eine Zicke«, schimpfte Felix. »Die hat doch gar nichts kapiert. Man muss den Feind beobachten. Man muss Informationen über ihn sammeln. Das gehört nun mal zur Grundausbildung für Detektive. Das weiß doch jeder.«
»Aber Fräulein Fontana war nackt«, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde.
»Na und? Hast du noch nie eine nackte Frau gesehen?«
Natürlich hatte ich schon nackte Frauen gesehen. Meine Mutter und Tante Ulla und die Frauen im Schwimmbad unter der Dusche. Aber das hier war etwas ganz anderes gewesen. Es war gemein und verboten. Und oberpeinlich. Ich wusste genau, ich würde Fräulein Fontana nie mehr begegnen können, ohne daran zu denken, wie ihre Brüste ausgesehen hatten. Und das war das Schlimmste.
»Sie ist unsere Feindin«, sagte Felix. »Sie ist eine Katzenhasserin. Vergiss das nicht.«
»Halt die Klappe«, sagte ich und lief weg.
Corinna Thiemann saß auf der Mauer vor dem Friseurgeschäft, in dem ihre Mutter arbeitete. Ich setzte mich neben sie. Corinna rückte von mir weg.
»Lass mich bloß in Ruhe«, zischte sie. »Ihr seid doch beide ekelhaft.«
»Ich hab nichts damit zu tun. Das war ganz allein Felix’ Idee.«
»Und warum bist du dann nicht mit mir abgehauen? Ich hab doch genau gesehen, dass du mit Felix in unsere Garage gegangen bist.«
»Ich musste noch was klären.«
Corinna sprang auf. Sie war jetzt ziemlich sauer.
»Was klären! Was klären! Ich weiß es genau: Ihr habt euch totgelacht, weil ich weggelaufen bin.«
»Aber du hast die Mutprobe doch bestanden«, sagte ich leise.
»Schöne Mutprobe«, fauchte Corinna. »Und weißt du überhaupt, was am schlimmsten ist?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Am schlimmsten ist«, sagt Corinna, »dass ich Fräulein Fontana nie mehr begegnen kann, ohne daran zu denken, wie ihre Brüste aussehen.«
5
Wir sprechen uns später«, sagt meine Mutter zu mir. Sie steht an der Korridortür und verabschiedet sich gerade von Fräulein Fontana.
»Nichts für ungut, Frau Besler, aber das musste doch mal gesagt werden.«
Fräulein Fontana hat ganz rote Flecken im Gesicht.
»Ich bin Ihnen dankbar, Frau Fontana«, sagt meine Mutter. Sie lächelt etwas schief. »Sie kennen ja das Sprichwort: Um ein Kind zu erziehen, braucht man
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