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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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abgetrennt, und der schwarz-weiße Metallzylinder schimmert in der Sonne und stürzt zur blauen und ungleichmäßig blau und weiß besprenkelten Erde zurück.
    Der Rand der Welt bekommt eine Krümmung, ein Krummschwert aus Blau und Gelb vor dem schwarzen All. Roth hört ferne Stimmen, er hört geflüsterte Befehle oder Einladungen durch schlecht eingestellte Kopfhörer, und er weiß, dass er die Augen geschlossen halten muss, wenn er all dies sehen will, aber gerade als er die Augen endlich doch wieder öffnen will, zündet die zweite Stufe, und die Flammen sind wieder da. Er wird von der Beschleunigung niedergedrückt, während er weiter in die Schwärze hinaufrast.
    »Holt meine Tasche aus dem Auto. Rasch!«
    Roth hört den russischen Befehl, doch er kann ihn mühelos verstehen. Wie eigenartig es war, als Sprachen noch wie Mauern waren und das Verstehen behindert haben. Jetzt, aus dieser Höhe, kann er über jede Mauer blicken.
    Der Lärm und die Flammen und der Druck enden so plötzlich, wie sie begonnen haben.
    Roth schwebt jetzt mit gestreckten Armen und gestreckten Beinen. Er verdreht den Oberkörper und dreht sich frei im Raum, blickt hinunter und sieht, wo er war. Wo er immer gewesen ist.
    Er fliegt dem Sonnenaufgang entgegen. Die weißen Wolken ziehen in einer Prozession weit unter ihm vorbei wie Schafe, die über eine blaue Wiese wandern. Eine Halbinsel reckt sich dem Sonnenaufgang entgegen wie ein Finger Gottes und teilt das grüne Meer. Auf der Nachtseite des Terminators pulsieren zwanzig Kilometer hohe Stratokumuli unter ihren eigenen, inneren Blitzen.
    »Platz da … die Nadel … ins Herz.«
    Roth streift die unsichtbaren Kopfhörer ab. Er hat das Insektensummen der fernen Stimmen satt. Sollen TsUP und Houston doch ihre Befehle geben, wem sie wollen. Er muss nicht zuhören. Die Stille schlägt über ihm zusammen wie Wasser, das ein Deck flutet.
    Die Sonne erfasst die Krümmung der Welt, feurige Strahlen tasten über den dünnen Schleier der Atmosphäre wie ein Gespinst aus goldenen Flammen, dann löst sie sich von der Erde, steigt im schwarzen Weltraum auf und zeigt sich in ihrer ganzen Macht als die thermonukleare Explosion, die sie tatsächlich ist. Der Weltraum, entdeckt er nun, ist keineswegs still. Sterne zischen und knistern. Roth hat dies schon einmal in Aufzeichnungen von Radioteleskopen gehört. Doch jetzt hört er sie auch singen – ein Chor vollkommener Stimmen in einer Sprache, die der lateinischen nicht unähnlich ist. Roth will verstehen, was sie singen, was dieser wundervolle Chor überirdischer Stimmen zu bedeuten hat, aber der Sinn entzieht sich ihm und verharrt knapp unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Jetzt steigt Roth in das Rauschen und Dröhnen und in die Brandung der lohenden Sonne selbst empor. Er spürt einzelne Photonen auf seine nackte Haut prallen und sieht die Wellen und Wellenmuster des Sonnenwindes, der gegen die pulsierenden, atmenden Schichten der irdischen Magnetosphäre anbrandet. Der Weltraum, erkennt er nun ebenfalls, ist keineswegs leer. Er ist voller Gezeitenwellen der Schwerkraft, es gibt gewaltige Schockwellen aus Licht, es gibt die verflochtenen, lebenden, sich ewig wandelnden magnetischen Kraftlinien, und alles stimmt ein in den sichtbaren und hörbaren Chor der Sterne.
    Irgendwo, sehr weit entfernt, findet ein Countdown statt … fünf, vier, drei, zwei, eins … auf Russisch und Englisch … die Menschen singen und weinen und lachen. Roth hört Musik. Das neue Jahr hat begonnen.
    Er breitet die Arme aus und ist beinahe bereit, sich vom Sonnenwind weiter und weiter tragen zu lassen, immer höher hinauf und tiefer hinein in den singenden Kosmos, ein für alle Mal befreit aus der Schwerkraft der Erde, doch es gibt noch etwas, das er tun muss.
    »Atme, Norman. Norman!«
    Er will die Stimme aus seinen Ohren vertreiben, aber dann greift er nach hinten unter das Kissen. Die drei gefalteten Papierstreifen sind noch dort. Er sucht sich einen aus. Er hebt die geballte Faust, öffnet die Finger.
    Um den Zettel zu lesen, muss er die Augen öffnen. Er weint, hält die Augen fest geschlossen, er wird die Pracht der zurückweichenden Erde gleich nicht mehr sehen können, er wird die väterliche Umarmung der aufgehenden Sonne nicht mehr spüren können, er wird den kühlen Kreis des Mondes nicht mehr fühlen können, er wird den Chor der grellen Sterne, die auf ihren Röntgenfrequenzen singen, nicht mehr vernehmen können.
    Doch er muss wissen, welche Zukunft er gewählt

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