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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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fünfzig würde ich tauchen.«
    Wir schüttelten die Köpfe und grinsten einander an, während wir unsere Schnüre und Haken einsammelten.
    »Ich werd’s bestimmt tun«, wiederholte Broder, diesmal lauter. Er zog seinen Mantel aus. »Für fünfzig Mark.«
    »Mensch«, sagte Bernhard, »Zieh deinen Mantel wieder an. Du wirst dir sonst den Tod holen, ob du tauchst oder nicht.«
    »Fünfzig«, krähte Broder.
    »Wartet«, sagte Christian und kramte in seinen Taschen. »Ich hab ein Fünf-Mark-Stück, einen Zehner und drei Mark.« Mit spinnenhaften Fingern legte er den Schein und die Münzen aufs Eis, nahm Alex’ zwei Zehner und legte sie dazu.
    Bernhard pfiff durch die Zähne. »Leute, das ist verrückt. Auch wenn er nicht erfriert, er wird das Beil nicht finden. Und wenn er wieder hochkommt, um nach Luft zu schnappen, wird er das Loch nicht finden.«
    »Kann ich doch«, sagte Broder und zog sich die Schuhe aus.
    Holger steuerte acht Mark bei, und ich hatte den Rest. Alex setzte einen von Broders Schlittschuhen auf den Hümpel und schaute Broder an. »Fünfzig«, sagte er.
    »Warte«, sagte Bernhard. Er streckte seine rechte Hand in die Höhe, wie ein Lehrer, der um Ruhe bittet. »Womit werden wir ihn abtrocknen? Sollte er wirklich wieder auftauchen.«
    »Halt’s Maul«, knurrte Alex. »Mein Großvater hat jeden Winter in der Droste gebadet, und es hat ihm nichts geschadet.« Er wandte sich an Broder. »Also gut, wir haben deine fünfzig Mark.«
    Der Junge zog sich bis auf die Unterhosen aus und stand dann am Rande des Loches. Um uns herum wirbelte der Schnee, und der Himmel war schon dunkler als das Eis. Es war sehr still, man hörte nur Broder, der die Luft einsog und sich die Nase schnäuzte. Der Schnee musste sich wie das Stechen von tausend Nadeln anfühlen.
    »Ich kann es schaffen«, sagte er und drehte sich noch einmal nach dem Geld um. Dann hielt er sich die Nase zu und sprang mit den Füßen voran ins Wasser. Das Loch im Eis nahm ihn entgegen.
    Wir anderen hockten bald um das schwarze Wasser herum, und uns allen war mit einem Mal klar, dass wir für unsere Handlungen geradestehen müssten.
    Die Droste war dort, wo wir hockten und ins Wasser starrten, nur drei oder vier Meter tief, und wir hatten an trägen Sommertagen oft den Grund berührt, aber es war Januar, und Broder war erst acht Jahre alt.
    Wir wussten, dass er nie wieder zurück kommen würde, und dass er nie auch nur die kleinste Chance gehabt hatte. Und dennoch. So lange wir unseren Atem anzuhalten vermochten, musste er es doch schaffen können. Es musste doch möglich sein. Die fünfzig Mark zu unseren Füßen behaupteten es.
    Dann meinten wir, ein Klopfen zu hören und suchten um das Loch herum. War Broder unter der Eisschicht gefangen? Hatte Bernhard recht gehabt? War es unmöglich, die Öffnung wiederzufinden?
    »Er ist tot«, sagte Bernhard schließlich. Seine Lippen zuckten.
    »Er ist tot«, sagte ich, nachdem ich langsam bis sechzig gezählt hatte. Meine vier Mark lagen im Schnee. Was hätte ich darum gegeben, nie in meine Tasche gegriffen zu haben.
    Bernhard hörte nicht auf zu weinen, als Broders Kopf vor uns auftauchte. Er weinte nur noch lauter, und wir alle schrien mit heiseren Stimmen und zogen den Jungen aus dem Wasser. Er war so rot, als ob wir ihn gekocht hätten. In der rechten Hand hielt er Alex’ Beil. »Es war so dunkel«, stammelte er. »So dunkel. Ich konnte gar nichts erkennen dort unten, und als ich wieder hochkam, wusste ich nicht, wo ich war. Nur einen Moment länger, und ich hätte Wasser geschluckt.« Er stammelte immer weiter, und wir versuchten, ihn mit seinem Hemd abzutrocknen. »Es war so dunkel, dass ich nach dem Beil tasten musste. Und auf dem Grund wuchsen schleimige Sachen, und auf einmal fühlte ich, wie etwas nach meinem Bein griff und mich fortziehen wollte. Es zog mit aller Macht und wollte mich nicht loslassen.« Sein ganzer Körper zuckte und zitterte. Er schien verwundert, uns wieder vor sich zu sehen, verwundert auch, dass er wirklich ins Wasser getaucht war und es uns gezeigt hatte.
    Holger nahm seinen braunen Schal und half damit, Broders Gesicht und Haar abzutrocknen. Er stieß Bernhard an und sagte: »Du alte Heulsuse, hör schon auf.« Und beide lachten viel zu laut und zu doll, so froh waren wir, Broder wiederzuhaben.
    »Wartet«, sagte Alex. Er nahm das nasse Beil und warf es zurück ins Wasser. »Du hast es einmal geschafft. Fünfzig Mark. Das ist ne Menge Geld für das bisschen kalte Wasser. Komm

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