Hemmersmoor
Gekreische. Wir schienen ganz allein zu sein. Es war ein gutes Gefühl.
»Hier. Hier ist unser Platz«, sagte Alex.
»Hier ist unser Platz«, wiederholte Broder. Wir schlugen und hämmerten aufs Eis ein.
»Seht nur, wie dick es ist«, sagte Broder.
»Seht nur, wie dick es ist«, machte Alex ihn nach, aber der Junge lachte nur.
Schon bald hielten wir unsere Schnüre ins Wasser, saßen in der Hocke um unser Loch herum und steckten uns neue Zigaretten an. Wir genossen die Stille, bis wir zu bibbern anfingen. Wir hätten eine Hütte bauen oder ein Feuer entfachen sollen, aber wir machten uns nie die Mühe. Wir zitterten am ganzen Leib. Keiner von uns fing etwas.
»Wo ist das Glück, das du uns versprochen hast?«, fragte Alex.
»Es kann nicht mehr lang dauern«, antwortete Broder. »Du wirst schon sehen.« Er schloss die Augen so fest, dass sein kleines Gesicht voller Falten war. »Ich kann es fühlen.«
»Mit deiner Schwester hast du mir kein Glück gebracht«, sagte Alex.
»Sie mochte dich nicht«, sagte Broder mit einem Strahlen. Wir lachten alle – es war die Wahrheit. Sogar der schweigsame Christian lachte. Er war ein bleicher Junge mit blondem Haar und blonden, fast unsichtbaren Augenbrauen und Wimpern. Er hatte vor zwei Jahren seinen Vater verloren, und wenn er sich in der Schule zum Sport umzog, sah man Abschürfungen und blaue Flecke auf seinen Armen und seinem Rücken. Aber er beklagte sich nie.
»Keines der Mädchen mag dich«, sagte Bernhard. »Deine Gedanken sind zu schmutzig.« Bernhard hatte noch immer keine Barthaare, war aber der Größte und Schwerste von uns. Sein Gesicht war so hübsch wie das eines Mädchens.
»Halt’s Maul«, sagte Alex. »Anke hat mir wehgetan.«
Holger grunzte. Er war stämmig und hatte kurzes, dunkles Haar und ein rotes Gesicht mit noch röteren Wangen. Seine Füße waren bereits größer als die der Männer im Dorf. »Anke wird sich nicht mit dir einlassen.«
»Warum nicht?«, fragte Alex. Sein brauner Bartflaum, der nicht zu seinen buschigen Augenbrauen passen wollte, war vereist, die Wimpern seiner kleinen Augen ebenfalls. »Wenn mein Bruder nicht zurückkehrt, werde ich die Gaststätte und das Land erben und reicher sein als die Hoffmanns.«
Alex’ Bruder war vor vier Jahren als Matrose nach New York gefahren und nie zu seiner Frau heimgekehrt. Karten aus aller Welt kamen unregelmäßig und mit großen Abständen im Dorf an.
»Warum sollte er nicht zurückkommen?«, fragte ich.
»Vielleicht bekommt er Lepra oder sein Schiff geht unter. Wer weiß? Von mir aus kann ihn der Klabautermann holen.«
»Und wenn er doch nach Hause kommt?«
»Dann werde ich schon mit ihm fertig werden. Der Krug wird mir gehören, und wenn Anke mich nicht haben will, werde ich ihren Hof aufkaufen und ihre Brüder können meinen Torf stechen.« Er schaute Broder scharf an. »Ist das nicht so?«
»Klar doch«, gab Broder zur Antwort. »Ich steche den Torf.«
»Sie könnte doch keinen besseren Mann finden«, sagte Alex, mehr zu sich selbst.
Ich selbst war nicht so groß wie Bernhard, nicht so stark wie Holger, und meine Familie war nicht so wohlhabend wie Alex’ Eltern. Aber ich hatte vor den Weihnachtsferien Linde Janeke geküsst. Ich fühlte mich den anderen überlegen. Linde war nicht so schön wie Anke, aber sie war mit einem Jungen aus Groß Ostensen gesehen worden, der siebzehn war und ein Moped hatte. Das galt etwas.
Ungefähr als wir unsere Zehen nicht mehr spüren konnten, ließ Alex sein Beil ins Wasser fallen.
»Was soll das?«, sagte Holger.
»Du bist blöd«, stimmte ihm Bernhard bei. »Das Beil ist futsch.«
»Vielleicht.« Alex zog einen Zehn-Mark-Schein aus der Tasche. »Vielleicht mag jemand hinterherspringen und es für zehn Mark heraufholen.«
Wir verlachten sein Angebot. Holger tippte sich an die Stirn und verdrehte die Augen.
»Gut«, sagte Alex und nahm noch einen weiteren Schein aus der Tasche. »Zwanzig. Ich zahle zwanzig. Wer will nach dem Beil tauchen?«
»Behalt dein Geld«, sagte ich und stand auf, um die Beine auszuschütteln. Ich hatte genug und wollte nach Hause gehen.
»Ich würd’s machen«, sagte Broder. Er hatte große Augen – all die Dinge, die er für zwanzig Mark kaufen könnte! Wir konnten es ihm ansehen, wie er sich die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ. »Aber ich mach’s nicht. Ich bin ja nicht blöd.«
Wir anderen lachten. »Guter Entschluss«, sagte Bernhard. »Niemand ist so saublöd.«
»Aber für
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