[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
Hosenboden ab, und als Roberts den Hügel hinaufstieg und hinter den großen Felsen verschwand, warf er einen letzten Blick auf die schmale Straße, die auf die Berge und die untergehende Sonne zuführte. Diese Tageszeit war ihm die liebste. Er hatte sie immer als etwas Besonderes empfunden, seit er als Kind bei seiner Großmutter auf dem Land in der Nähe von Little Rock, Arkansas, gelebt hatte. Es schien sehr lange her zu sein. Er überlegte, was sie wohl dazu sagen würde, daß er heute diesen Jungen getötet hatte. Würde sie verstehen, daß ihm keine andere Wahl geblieben war?
Er blickte zum grau werdenden Himmel auf und wünschte sich, zu Hause zu sein. »Deine Dienstzeit ist fast zu Ende, Carlos«, sagte er zu sich selbst und bemühte sich, das Heimweh zu unterdrücken, das ihn schmerzhaft überfallen hatte. »Menschenskind, ich wette, Sonny ist inzwischen dreißig Zentimeter gewachsen.« In ein paar Monaten würde er zu Hause seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag und sein achtes Jahr im Marine Corps feiern, zusammen mit seiner Frau Josephine und seinem kleinen Sohn Carlos Norman Hathcock III.
Nun ging wieder ein Tag auf seiner Hügelstellung zu Ende. Er war hier an einer speziellen Luftlandeoperation mit dem Namen Deckhouse IV beteiligt, die mit einer anderen Operation namens Desoto koordiniert war und bereits seit mehreren Wochen lief.
Marines vom 1. Bata illon des 4. Marine Regiments bildeten das Hauptaufgebot bei dieser Operation, die das Gebiet um Duc Pho von Vietkong-Verbündeten säubern sollte.
Hathcock hatte das MG so auf einem Ausläufer des Berges aufgestellt, daß er einen großen Teil des Gebiets zwischen der Küste und dem Gebirge im Schußfeld hatte, aber da oben bot er auch ein Ziel für den täglichen Beschuß von unten. Die Schüsse krachten aus großer Entfernung gegen die Felsen um das Schützennest des Marine, doch solange er und Roberts die Köpfe unten ließen, waren sie einigermaßen sicher.
Die Scharfschützen riegelten von ihrem Hügel aus einen Teil des Gebiets ab, um dem Bataillon bei seinen Streifzügen durch dieses weite, flache Land ein wenig Sicherheit zu bieten. Bei diesem Einsatz konnte Hathcock nur sehr wenig von seinen Fähigkeiten als Heckenschütze verwenden, denn unbemerktes Anschleichen war hier kaum erforderlich, nur genaues Schießen mit dem schweren Maschinengewehr. Das Ganze hatte Ähnlichkeit mit einer Schießbude auf einem Volksfest - doch waren anstelle von Blechenten und Tonröhrchen die Vietkong das Ziel.
Hathcock hatte als erster das Maschinengewehr vom Kaliber .50 * als Scharfschützenwaffe verwendet. Die schweren Geschosse der großen Waffe blieben auf fast dreitausend Yard ** auf einer stabilen Flugbahn und ermöglichten es damit dem Heckenschützen, auf weit über achtzehnhundert Meter, mehr als das Doppelte der Reichweite seines .30-06 Gewehrs, Kaliber 7,62 mm, höchste Treffgenauigkeit zu erzielen. Ohne Schwierigkeit ließ sich das schwere MG auf Einzelfeuer umstellen und mit dem T-and-E, einer mit Rasterschrauben höhenverstellbaren und drehbaren Lafette, bildete das ganze System eine feste, präzise regulierbare Plattform für das Zielfernrohr Stärke 8, das erforderlich war, um die Waffe exakt auf die weit entfernten Ziele ausrichten zu können.
Der Heckenschütze streckte sich. Er war erschöpfter als sonst und froh, daß die Operation bald zu Ende sein würde.
Ein sternenübersäter Himmel begrüßte Carlos Hathcock am folgenden Morgen. Er hockte im Schneidersitz im Dunkeln
* Entspricht einem Kaliber von 12,7 mm. ** 1 Yard = 91,44 cm.
hinter seinem Maschinengewehr und wartete darauf, daß das Licht des neuen Tages in das weite Tal unter ihm drang. Es sollte ein sehr ereignisreicher Tag werden.
Rechts hinter Hathcock stand ein Major der Marines und suchte mit einem starken feldgrauen Fernglas den sich aufhellenden Horizont ab. Die zarte weiße Feder zitterte in Hathcocks Hutband, als ein stetiger Westwind die Feuchtigkeit auftrocknete, die der Bodennebel und der nächtliche Tau zurückgelassen hatten. Niemand sprach ein Wort.
Hathcock und der Major lauschten auf das Geräusch von Hubschraubern, das den Beginn einer letzten Aktion in diesem Gebiet ankündigen würde.
Tief unter den Marines bellte ein Hund, und Hathcock warf einen Blick auf die flackernden Kochfeuer nahe der Hütten, wo der Hund lebte. Dort bereiteten sich die vietnamesischen Bauern auf einen neuen Arbeitstag vor. Er blickte weiter hinaus in den grauen Morgen, wo andere Feuer
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