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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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Möglichkeiten abwägend, tigert Bruno eine Dreiviertelstunde lang in seinem Flur auf und ab und denkt:
sofort hinterher!
Aber wenn er jetzt das Haus verlässt, dann verpasst er sie womöglich und sie kommt zurück und steht vor verschlossener Tür. Er rennt wieder in den Flur und wieder auf den Balkon. Er weiß jetzt schon sicher, dass selbst wenn Hendrikje lebend zurückkommt, sie in fürchterlicher Verfassung sein wird, an ihrem ersten Tag in Freiheit, und das ist dann seine, Brunos, Schuld mit seiner Klugscheißerei. Also entscheidet er sich, jetzt aber doch hinterherzurennen und Hendrikje aus der Galerie Rothwein zu holen, raus aus der Höhle des Löwen. Und er zieht sich seine Jacke an und schreibt einen Zettel, den er von außen an die Tür kleben kann, damit Hendrikje weiß, wo er hingerannt ist, und dann reißt er die Wohnungstür auf, und da steht Hendrikje mit der Hand am Klingelknopf und warnt ihn leise und konspirativ: »Hoher Besuch.«
Und da taucht Rothwein langsam hinter ihr auf, seine Gestalt geht im Treppenhaus auf wie der Mond und sein schönes, edles Gesicht, seine gemeißelte Aristokratenfresse ist ein wenig verschieft von leichtem Unglauben und präventivem Ärger. Er begrüßt Bruno wie einen Türsteher, und dann steht er plötzlich im Flur der Wohnung herum. Erwartungsvoll, durchaus.
    Hendrikje führt ihn ins Schlafzimmer zu den kabeljaublauen Heringsköpfen und der Eisenbahnbrücke, ins Arbeitszimmer zur Orchideen-Gudrun, zur Maria und zur Claudia, und Bruno holt noch die Sofa-Palmenberg-Puppe und den Richter dazu, und Rothwein nickt stumm und guckt sich die Bilder an.
    »Mir fehlen die Paar-Akte, Frau Schmidt. Ihre Paare waren das Beste. Und die Eisenbahnbrücke hätte ich gern in fünf Variationen, so erinnere ich das.«
    Hendrikje nickt und sagt: »Ja.«
    »Wenn Sie mir drei Liebesakte bringen und die Eisenbahnbrücken variieren, dann gebe ich Ihnen drei Wochen im Januar. Und Sie wissen, dass das kein guter Verkaufsmonat ist.«
    »Ja«, sagt Hendrikje, und Bruno glotzt den Rothwein an.
    Rothwein geht vom Arbeitszimmer ins Schlafzimmer und beargusäugt die Bilder. »Die ockerfarbenen Heringsköpfe kann ich nicht gebrauchen. Die Puppe auch nicht. Die Porträts sind dabei.«
    »Ja«, nickt Hendrikje.
    »Und das alles auch nur unter der Bedingung, dass die Porträts und die Titania da auf der Orchidee morgen Mittag um 12 Uhr in meinem Keller stehen. Hier sind mir zu viele Bücher. Falls es mal brennt.«
Und Rothwein schmeißt Hendrikje einen Blick wie ein Flammenwerfer zu, der sie töten könnte. Sie zuckt reflexartig zurück und weicht dem Flammenwerfer aus, vergisst aber nicht, ihr Einverständnis mit heftigem Kopfnicken auszudrücken. Und ohne ein weiteres Wort ist Rothwein draußen und weg.
     
    Gott, ist Bruno froh. Gott, wischt der sich jetzt den Schweiß von der Stirn.
    »Bruno?«, fragt Hendrikje leise nach kurzem Schweigen. »Was ist Titania?«
    Und Bruno krächzt heiser: »Die Elfenkönigin.«
    Hendrikje schüttelt den Kopf, schaut auf Gudruns Akt und sagt: »Die kann aber fluchen wie acht Seeleute.«
    Und dann gehen Hendrikje und Bruno zurück in die Küche, Hendrikje öffnet das Fenster und Bruno leert den Aschenbecher aus und fängt an, das Frühstücksgeschirr mit dem angeklebten Eigelb zu spülen. Hendrikje macht die Pfanne auf dem Herd noch mal heiß, lässt Butter aus und macht neue Spiegeleier, denn jetzt haben die beiden wirklich richtig Hunger und versuchen das mit dem ersten Frühstück in Freiheit noch mal.
    Und es klappt.
    Als Bruno sein Spiegeleibrot aufgegessen hat, seinen Kaffee trinkt und sich sehr beruhigt einen Zigarillo ansteckt, da fragt er noch mal: »Was ist der Plan also?«
    »Mein Plan«, überlegt Hendrikje, »erfährt eine Änderung.«
    »Natürlich tut er das.«
    »Wenn du einverstanden bist, würde ich auf das Erstaufnahmeheim verzichten und bei dir auf dem Sofa schlafen.«
»Vorübergehend.«
    »Selbstverständlich nur vorübergehend. Ich muss bis Januar drei Liebespaare malen und die Eisenbahnbrücken variieren.«
    »Das wird knapp.«
    »Allerdings.«
    »Auf unserem Dachboden ist Platz. Der Wäscheboden. Da hat seit 10 Jahren keiner mehr seine Wäsche aufgehängt.«
    »Wieso nicht?«
    »Die Leute haben alle Trockner.«
    »Das war bei uns im Haus auch so, also da hat auch seit zehn Jahren keiner mehr die Wäsche auf den Boden gebracht, nur wir, also die Omi und ich«, empört sich Hendrikje, »aber keiner hatte so duftende Wäsche wie wir. Wenn man

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