Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
messerwetzender Sugar Brown
Hendrikje schaut Bruno neugierig an. »Magst du Gans?« Und er erwidert ihren Blick mit einem ganz leeren, einem ganz und gar ungefragten, ehe er »Im Prinzip schon«, mault, »macht aber unheimlich viel Arbeit …«
»Viel Arbeit …, ja, na gut, aber weißt du, Bruno, er hat schon Recht, wenn er hier schreibt, dass Fisch und Bockwurst irgendwie doof sind …«
»Och, ich wollte am Heiligen Abend aber gar nicht kochen …«
»Aber wir kochen doch jeden Abend …«
»
Ich
, ich koche jeden Abend!«
»Warum also nicht auch am Heiligen?«
»Weil man mit einer Gans den ganzen Tag in der Küche steht.«
»Ich weiß.«
»Und am nächsten Tag ist man nur am Abwaschen.«
»Ja, ich weiß, den ganzen Fettkram. Ooch, Bruno, ich hab so schöne Liebespaare gemalt.«
»Aach …«
»Und so schöne Eisenbahnbrücken …«
»Aaach …«
»Ach bitte. Guck mal, das mit der Suppe allein, das hört sich so gut an.«
»Aach, Suppe …«, brummt Bruno lustlos, »da muss ich erst mal ’ne Nacht drüber schlafen.«
»Ja, aber morgen ist der Vierundzwanzigste, und dann kriegen wir höchstens noch eine gefrorene Gans, und die kriegen wir nicht mal aufgetaut bis zum Abend.«
»Mit ’ner gefrorenen Gans geb ich mich erst gar nicht ab.«
»Ja dann …«
Und Bruno stöhnt und steht stöhnend auf und brummt schlecht gelaunt: »Der Teufel hole Sugar Brown!« Er geht in den Flur und zieht sich schon mal seine Lammfelljacke an und Hendrikje feixt stumm in der Küche herum, denn sie weiß, dass das das Okay ist und Bruno jetzt loszieht und ’ne Gans kauft. Was er dann auch tut.
Und am Vierundzwanzigsten steht Bruno in der Küche und löst der frischen Gans die Flügel aus dem Leib und vernäht die Haut wieder und kocht ein Gänsesüppchen und brät einen Gänsebraten und schnippelt Pilzmaultaschen klein. Hendrikje schaut ihm dabei zu, freut sich schlapp und assistiert ihm unter vielen dahingeschnatterten Freudebekundungen, bis Bruno sie aus der Küche schmeißt.
Sie darf erst wiederkommen, als die Suppe in den Tellern dampft und die ist wirklich zum Verrücktwerden himmlisch. Und dann gibt es Gänsebraten und Klöße und Soße und Wein und einen Schnaps, und Hendrikje kann sich nicht erinnern, wann sie schon mal so glücklich gewesen sein soll wie heute Abend. Sie schenkt ihm die Bleistiftzeichnung, auf der er so schön schläft, und Bruno bedankt sich mit einem Nicken und raucht.
15
Hamburg bei Nacht. Hendrikje stöckelt in ihren weißen Sandalen mit den hohen Hacken, die bei Bruno aufbewahrt wurden seit jener lang vergangenen Nacht, in der Holger zu Tode kam, und dem roten Pannesamtminikleidchen, das ebenfalls überlebt hat, auf dem Eisensteg an der Rückwand der Galerie Rothwein entlang und friert, denn es ist Januar und sie schaut runter in den Kanal, der da fließt. Aus den Bürogebäuden auf der anderen Kanalseite flimmern die Lichter und spiegeln sich im Kanal, und drinnen in der Galerie strömen die Besucher in die Ausstellung, weswegen Hendrikje hier raus geflohen ist und eine raucht, die Erste, seit Ernst vom Dach fiel.
Wie schön das ist, hier draußen zu rauchen und zu frieren und den Lichtern beim Spiegeln zuzusehen. Sie spiegeln, als spiegelten sie nur für sie! Wie schön.
Hamburg bei Nacht
, so hat Rothwein ihre Ausstellung genannt. Sie schaut durch die Fenster rein in den Saal und sieht, wie drinnen fünf Eisenbahnbrücken hängen, eine düsterer als die andere. Daneben hängt gleich die Omi als Leiche, als sei sie an den Eisenbahnbrücken gestorben, und noch daneben hängt der Richter, und Claudia, die Trickdiebin, und Maria, das debile Kind. Und daneben der Chef persönlich, der angeekelte Aristokrat, und gegenüber an der Wand, da hängen vier Liebespaare, die sich kriegerisch lieben, und in der Mitte von ihnen als Fünftes die Gudrun auf Orchidee, wie eine Elfenkönigin, nur halt mit blutiger Schere. Nur Dieters Arm mit dem Segelschiff, dem schlaff segelnden Schiff bei herunterhängender Hand, das hängt als Appetizer im Fenster. Hendrikje schnippt ihre Kippe in den Kanal, geht wieder rein und mischt sich unter die Besucher, die herumgehen und an Prosecco-Gläsern nippen, und Rothwein strahlt sie alle an wie wenn er sich doch noch freut. Und Bruno kommt und hängt seine Alt-68er-Felljacke an der Garderobe auf einen Bügel und zündet sich einen Zigarillo an und krault sich den Bart und lächelt stolz, denn das hier ist sein Werk.
Es gibt Besucher, die tragen sich wirklich
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