Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
Hendrikje, wankt zu einem der Rothwein’schen Clubledersessel und lässt sich da reinfallen. Ernst ein Dealer, aber ein professioneller mit Depot im Copyshop, nicht mal ein Gelegenheitsdealer, sondern ein richtiger … Und sie hat mit Paula im Abbruchhaus seinen Shit geraucht … Sie hat ein ganzes Jahr lang mit einem waschechten Dealer gevögelt und nichts gemerkt. Oh Gott, wie gut, dass es nicht ihr
Freund
war! Und sie hat nichts gemerkt, niemals. Meine Fresse –
das
macht sich erst unsexy im Nachruf …
Paula steht ratlos neben Hendrikjes Sessel und staunt, dass Hendrikje so schockiert ist. »Was is’n eigentlich aus dem geworden?«, fragt Paula. »Ich hab den gar nicht mehr gesehen seit damals, und der Copyshop hat dichtgemacht.«
Hendrikje sieht Paula fassungslos an und sagt leise: »Ich habe ihn umgebracht.« Und Paula glotzt. Glotzt wie damals, als sie ins Abbruchhaus kam und das Schmuckkästchen in der Zimmertürschwelle absetzte und wegrannte. Aber da gesellt sich Bruno zu den beiden, und Hendrikje, die sich wie unter Watte fühlt und klatschnass geschwitzt ist, murmelt: »Bruno, darf ich dir Paula vorstellen? Das ist die Frau, die mein Atelier angezündet hat!«
Bruno nickt Paula zu mit Freundlichkeit und Respekt und grinst: »Es freut mich sehr.« Und schüttelt dem völlig verwirrten Mädchen die Hand.
Hendrikje, bleich und erschüttert, steht auf und sagt: »Ich muss was trinken.« Und weil Bruno Paula in ein freundliches Gespräch zieht, vergisst die völlig, wegzulaufen. Hendrikje kommt mit drei Gläsern Grappa zurück, die ihr Rothwein aus seinem Privatarchiv spendiert hat. Als professionelle Kellnerin trägt sie alle drei Gläser in einer Hand und bringt sie ihren Freunden. Die drei stoßen an und kippen die Schnäpse herunter.
Niemand hat Dieter gesehen, der baff staunend draußen vor dem Schaufenster mit seinem Segelschiff steht, reinguckt in den hell erleuchteten Saal und reinkommt. Hendrikje merkt nicht, dass er schon breit grinsend hinter ihr steht, sie merkt nur, dass Bruno irgendwie unzufrieden hinter ihren Kopf guckt, und da raunt es auch schon in ihr Ohr: »Du hast so schön gesungen …«
Hendrikje dreht sich um und erkennt Dieter, der da in seiner ganzen Pracht vor ihr steht und strahlt. Und da strahlt sie nun auch und fasst es gar nicht, wer sich hier heute abend alles so trifft und schüttelt den Kopf vor Staunen. Aber da schnappt Dieter sie sich und hebt sie hoch und wirbelt sie um seine eigene Achse, vor allen Leuten, und lacht und setzt sie wieder ab und drückt ihr einen dicken, langen Kuss auf den Mund. Und entschuldigt sich, weil er vom Brötchenholen damals nicht wiederkam, aber er sei leider unterwegs von der Straße weg verhaftet worden.
»Wie das denn?«, will Hendrikje wissen und Dieter sagt ihr, dass er nur ein paar Tage vorher einen Wisch von Lisa unterschrieben hatte, er dachte, er unterschreibt seine Bewährungsstrafe, denn damals konnte er ja noch nicht lesen, aber das hat er jetzt im Gefängnis gelernt, und dass Lisa ihn einen Wisch unterschreiben hatte lassen, der eine Quittung war. Eine Quittung, dass er damals für 100 000 Euro in Bramfeld Häuser renoviert hätte. Und das stimmte natürlich nicht, aber er konnte es nicht beweisen. Die renovierten Häuser in Bramfeld jedenfalls gab es wirklich, und er hatte da auch mal ein Rohr verlegt, aber doch nicht für 100 000 Euro, und dem Finanzamt lag keine Steuererklärung vor und nun lass einen Pups, wenn du nur auf Bewährung draußen bist …
»Verstehe …«, murmelt Hendrikje. Lisa hatte ihn also doch noch drangekriegt.
»Lisa hat aber auch lange im Knast gesessen«, sagt Hendrikje zu Dieter und strahlt ihn an. Sie nimmt seine Hand und fügt kichernd hinzu: »Und ich auch!« Dann zieht sie ihn fort an seiner schönen starken Männerhand und sagt: »Komm mit! Ich will dir meine Bilder zeigen!«
Bruno glotzt den beiden hinterher und schaut zu, wie Hendrikje Dieter durch die Galerie zieht und wie er seinen Arm um ihre Hüfte legt und den roten Pannesamt streichelt. Und er sieht, wie Hendrikje dem Dieter jedes Bild erklärt und dabei strahlt und lacht und ganz rote Wangen hat. Bruno holt tief Luft und weil gerade ein Kellner mit einem Tablett voller Prosecco-Gläser vorbeikommt, nimmt er zwei Gläser und stratzt beherzt zu den beiden hin. Er baut sich vor ihnen auf, hält Hendrikje eins der beiden Gläser hin und ignoriert Dieter einfach. Er holt tief Luft, um etwas zu sagen, aber so weit kommt er dann gar
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