Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
nicht, denn lachend nimmt Hendrikje ihm auch noch das andere Glas ab, gibt es Dieter und zieht den fröhlich plappernd weiter zum nächsten Gemälde. Und Bruno steht da wie vom Donner gerührt.
Hendrikje und Dieter prosten sich zu, nippen am Prosecco, schauen sich tief in die Augen und dann schiebt Hendrikje Dieters Jacke ein bisschen von seiner Schulter, was der sich lächelnd gefallen lässt, um nachzusehen, ob da immer noch auf seinem Oberarm die
True Love
segelt, die ihr und Paula gehört, und sie segelt noch immer und Hendrikje pflanzt einen dicken Kuss darauf.
Auch Bruno hat das Segelschiff gesehen. Daher weht also der Wind! Das ist also das Segelschiff, dessentwegen er in das von der Polizei abgesperrte Abbruchhaus in Altona eingebrochen ist, dessentwegen er unbedingt nach Fuhlsbüttel fahren musste, um es persönlich vorbeizubringen, das also ist sie, die ›
True Love
‹.
Als Dieter und Hendrikje ihre Runde gemacht haben, gesellen sie sich wieder zu Paula und im Menschengewühl ruft Hendrikje: »Bruno, hast du das gehört, was Lisa mit Dieter gemacht hat? Darf ich dir Dieter …? Bruno?« Jetzt dreht Hendrikje sich völlig von allein um die eigene Achse und sucht Bruno, den sie nirgendwo sieht.
»Der ist gerade ’rausgegangen«, sagt Paula, und Hendrikje lässt Paula und Dieter stehen und marschiert raus auf die Straße. Und die Straße ist leer. Hendrikje geht wieder zurück in den hell erleuchteten Saal und guckt sich um und Paula schüttelt den Kopf und macht ihr Zeichen mit der Hand: »Draußen, der ist ’rausgegangen!« Und Hendrikje geht noch mal raus und schaut nach links und schaut nach rechts, und die Straße ist menschenmenschenleer.
Hendrikje ruft: »Bruno!« Keine Antwort. Sie bewegt sich nach rechts zum Rödingsmarkt, und der ist leer. Sie sieht hoch zur hell erleuchteten U-Bahn -Station und rennt los und über die Straße und rein in die U-Bahn -Station und die erstbeste Treppe hoch und auf den Bahnsteig ’raus und ruft immer nur: »Bruno!« und noch einmal »Bruno!« und es hallt in den Hallen. Sie kommt an auf dem Bahnsteig oben und gegenüber, getrennt von doppelten Gleisen, da steht Bruno auf dem anderen Bahnsteig in seiner Felljacke und guckt sie nicht mal an. Jetzt darf bloß keine Bahn kommen, denkt Hendrikje und rennt die Treppe wieder runter und unten auf der anderen Treppe wieder hoch, und sie hat Glück, denn es kommt keine Bahn.
»Bruno«, keucht sie ganz außer Atem, als sie ihn endlich erwischt und erreicht. »Was biste denn plötzlich weg?«
Bruno ist nicht amüsiert, wirklich nicht. Er steht da und raucht und schaut Hendrikje nicht an und grummelt sich finster in seinen Bart: »Ich an deiner Stelle würde mich ja um meine Gäste kümmern.«
Hendrikje friert plötzlich sehr, in ihrem Pannesamtminikleidchen im Januar, aber diesmal legt Bruno ihr nicht seine Felljacke über die Schultern.
»Bruno«, sagt Hendrikje und friert, »das
mach
ich gerade! Du bist doch der wichtigste Gast von allen.«
»Ach was!?« Bruno sieht nur geradeaus und Hendrikje nicht an.
»Mensch Bruno«, sagt Hendrikje, »erst Paula und dann Dieter, das musste doch verstehn, dass mich das erst mal umhaut.« Hendrikje hat die Arme übereinander verschränkt und zittert, weil es echt kalt ist im Januar in Hamburg bei Nacht, und da kommt die Bahn, die U3, die immer so einen eleganten Winkel fährt, wenn sie beim Rödingsmarkt einfährt, und Bruno verzieht keine Miene und sieht echt nicht aus, als wäre er leicht zu versöhnen. Aber die Bahn kommt.
Und so stellt sich Hendrikje vor ihn hin, und Bruno verzieht keine Miene, und um sie nicht ansehen zu müssen, kneift er sogar die Augen zu. Und Hendrikje schließt auch ihre Augen und küsst ihn auf den Mund. Lange, damit er nicht wegläuft. Und als sie aufhört, da nimmt er sie mit ganz unbewegter Miene, er sieht wirklich genauso grimmig aus wie vor dem Kuss, bei der Hand und steigt mit ihr in die Bahn. Und dann sitzen sie nebeneinander und sehen sich nicht an und halten sich bei den Händen, und Bruno legt ihr nicht seine Jacke um die Schultern. Heute nicht.
Und sie steigen aus am Hauptbahnhof und haben kein Wort miteinander gesprochen und halten sich immer noch an der Hand, und Bruno geht schnell und Hendrikje tippelt in ihren weißen Sandalen neben ihm her, und Bruno lässt Hendrikjes Hand erst los, als er die Haustür aufschließt. Sie stehen im Flur und Bruno zieht seine Felljacke aus und hängt sie sorgfältig auf einen Bügel und hängt den
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