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Hengstgeflüster (German Edition)

Hengstgeflüster (German Edition)

Titel: Hengstgeflüster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Levi
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Die Junisonne schien heiter am wolkenlosen Himmel. Dasselbe bedeutungsvolle Blau wie die Augen des umwerfenden Griesgrams, bemerkte sie. Sie stand mitten in einem gewaltigen, rustikalen, blitzblanken Innenhof, der dem großen Gebäude, an dem sie gestern Nacht in der Finsternis vorbeigegangen war, zu Füßen lag. Das Haupthaus war im typischen italienischen Baustil errichtet. Ihre Augen entdeckten den Monte Persecco, der, geschmückt von knorrigen Olivenbäumen und Weinterrassen, über dem Anwesen emporragte. Die allgegenwärtigen strammen Säulenzypressen wuchsen sogar dort oben, am kargen Untergrund des Berges, und unterteilten diesen in wahllose rasterartige Anordnungen.
    Ihr Blick kehrte zurück zu diesem - ach so unbeschreiblich schönen - Ort des Schreckens. Von der Sonne geküsst erstrahlten die Wände des lang gestreckten Wohnhauses in einem warmen, einladenden Terracottarot. Das weitläufige Flachdach rahmte das Gebäude in einem tiefen Schokoladebraun ein und vermittelte einen herzlichen Eindruck. Der Sockel des Hauses bestand aus einzelnen, mittelgroßen, weißgrauen Marmorsteinen, die in harter Handarbeit vor Jahrzehnten Stein für Stein liebevoll übereinander geschichtet worden waren. Rechts vom Gebäude befand sich ein alter, steinerner Brunnen, der mit dunklem Kirschholz umrandet war. Dort hing an einem verwitterten Seil ein einsamer grauer Blecheimer. Blumentöpfe standen an die Hausmauer gereiht. Die exotischsten Geschöpfe blühten dort in allen Farben und Formen und Bell würde ihr letztes Hemd drauf verwetten, dass es solche Pflanzen in der Toskana üblicherweise nicht gab.
    Hinter ihr vernahm sie zorniges Schnauben und ungeduldiges Stampfen.
    Sie erstarrte.
    Innerhalb von Sekunden lief Bells halbes Leben vor ihrem geistigen Auge ab. Sogleich standen ihr die Haare zu Berge. „Nein…bitte, nicht…“, murmelte sie, als sie sich zögernd umwandte.
    Das Pferd schnaubte genervt und veranstaltete einen spektakulären Zirkus.
    „Herrgott im Himmel“, flüsterte sie betreten. Ein grausamer Scherz? Nein, schlimmer, ein Alptraum sondergleichen.
    Ihre so verbissen verdrängte Kindheit hatte sie mit unglaublicher Wucht eingeholt und ihr mit roher Gewalt einen Magenschwinger verpasst. Sie versuchte krampfhaft, ihre jahrelangen zurückgehaltenen Tränen zu unterdrücken.
    Unbeschreibliche Scham und grauenhafte Bilder, die so gar nicht in die ländliche Idylle passten, stürzten auf sie ein und zwangen sie geradezu in die Knie.
    Ungeweinte Tränen bahnten sich in Strömen ihren Weg ins Freie, doch das alles merkte die junge Frau gar nicht.
    Ihre Vergangenheit hatte sie eingeholt, unvorbereitet, ohne jegliche Vorwarnung. Ganz und gar herzlos.
    Vor ihr breitete sich eine lang gezogene, saftig grüne Grasweide aus, die mit festem teakbraunem Gehölz umzäunt war. Eine wunderschöne, anmutige, schwarz-weiß gezeichnete Appaloosa- Stute graste entspannt und ließ  sich durch kein Geräusch stören. Auf den ersten Blick konnte man ihre edle Herkunft erkennen. Das Tier war wohl proportioniert und stark bemuskelt. Anscheinend befand sie sich in hartem Training. Vereinzelte weiße Pünktchen zierten ihr gerades, ansonsten pechschwarzes Köpfchen und kluge, sehr sanfte Augen konzentrierten sich aufs Fressen.
    Krampfhaft schluckte Bell und wandte sich um. Den Ursprung der ganzen Unruhe fand sie auf dem weitläufigen Round Pen, einem kreisrunden Trainingsplatz, auf dem ein etwas älterer, dunkelhäutiger Mann mit einem jungen, ungewöhnlich gezeichneten, bunten Pferd trainierte. Ebenfalls ein Appaloosa. Diese Rasse stammte von den Nez-Perce Indianern und beschrieb ein zähes Westernpferd mit bestechenden, weichen Gängen und robuster Natur.
    Die Farbe dieses Tieres war unbeschreiblich. Dieses Pferd musste ein Vermögen wert sein. Ein tiefes, fast bordeauxrotes Fell glänzte schweißnass im Sonnenlicht - wie ein herbstliches Weinblatt, wären da nicht die unzähligen cremeweißen Punkte auf seinem gesamten Körper, regelmäßig verteilt. Diese Rasse war für ihre Gutmütigkeit und ihren treuen und sanften Charakter hoch geschätzt.
    Nicht so dieser Rabauke hier, dachte Bell. Keine Spur von den sanften, dynamischen und viel umjubelten Genen. Dieses fantastische Tier war eine scharfe Granate, schwierig und gewieft, stellte sie mit ihrem längst vergessenen Kennerblick in Sekunden fest. Manche Dinge waren doch so selbstverständlich wie das Atmen, auch wenn man sie für lange, lange Zeit hinter sich gelassen

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