Hengstgeflüster (German Edition)
hatte.
Bell kicherte hysterisch. Das Messer grub sich tiefer in ihre aufgerissene Wunde. So schnell wie möglich würde sie von diesem verteufelten Ort hier verschwinden!
Hund spürte ihren verzweifelten Schmerz, sah verständnisvoll zu ihr auf und winselte bekümmert.
Chris, der unbemerkt von hinten an sie herangetreten war, musterte sie besorgt. „Lady, ist alles in Ordnung mit Ihnen? Denn wenn Sie mir hier gleich umkippen, werde ich Sie nicht auffangen, damit Sie´s gleich wissen.“
Bell schöpfte aus ihren letzten Kraftreserven. „Vielen Dank für Ihren herzlichen Empfang, Mister“, bedankte sie sich mit ironischem Unterton und wandte ihm so würdevoll wie nur möglich ihr tränennasses, ebenmäßiges Gesicht zu.
„Ach ja, ich glaube, Hund hatte gestern Schaum vorm Mund“, meinte sie dann, mühevoll beherrscht, „ich würde mich also an Ihrer Stelle so schnell wie möglich impfen lassen.“ Sie schulterte ihren unförmigen Koffer und verließ in gebückter Haltung fluchtartig die Ranch.
Dieses verdammte Frauenzimmer! „War nett mit Ihnen geplaudert zu haben, Lady!“, rief er ihr nach und wunderte sich über den schalen Beigeschmack, den ihre Flucht bei ihm zurückließ. Was war nur so Besonderes an ihr, das sie ihm so unter die Haut ging?
Er machte sich Sorgen um dieses fremdartige, kleine Wesen, das anscheinend von einem Unglück in das nächste stolperte und ganz bestimmt nicht selbst auf sich aufpassen konnte. Sie schien ihm heute lauter Märchen aufgetischt zu haben, angefangen von ihren unzulänglichen Italienischkenntnissen bis hin zu ihrem treuen, nicht sehr appetitlich riechenden Begleiter, den sie offenbar noch nie zuvor gesehen hatte. Und was zum Teufel war das soeben für eine erstaunliche Szene gewesen? Er hatte gemerkt, dass sie nahe einem Zusammenbruch gewesen war, als sie sich umgesehen hatte. Noch nie hatte er einen Menschen getroffen, der sich mit seinem bescheidenen Hab und Gut einfach so auf fremden Sofas einquartierte.
Sie musste verrückt sein. Oder lebensmüde. Oder verzweifelt. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Nun, er hatte sie doch schon mehrmals zum Teufel gewünscht und seine Gebete waren ja auch rasend schnell erhört worden. Warum nur fühlte er sich dann wie das größte Arschloch auf Gottes Erdboden?
Hund warf ihm noch einen letzten, vernichtenden Blick zu und trottete der kleinen Lady hinterher, die mehr Ballast mit sich schleppte als der Packesel eines Goldgräbers.
Tief in Gedanken versunken, bemerkte er - zu spät - das erschreckende Bersten des Gatters hinter ihm und den schmerzerfüllten Schrei seines treuen Freundes und Trainers Chrispin Mackenzie. Alarmiert wirbelte er herum, als sein junger, halbstarker Hengst namens Tango wie ein wütend gewordener Stier durch das Gatter pflügte. Dieses verdammte Vieh! War nicht heute schon genug geschehen?
Nur durch einen beherzten Sprung zur Seite gelang es Chris, sich vor seinen panischen Hufen zu retten. Chrispin lag nahe beim kaputten Zaun. Sein rechtes Bein in einem unnatürlichen Winkel verdreht, stöhnte er gepresst. Chris verschwendete nur einen kurzen Gedanken daran, dem tobenden Tier nachzulaufen, verwarf ihn aber sogleich und eilte seinem Freund zur Hilfe.
In der Zwischenzeit hatte Bell sich umgewandt und vor Schreck ihren Koffer fallengelassen. Das rasende Tier bockte ohne Rücksicht auf Verluste durch den gepflasterten Innenhof und sein Reiter lag bewegungslos im Sand des Corrals. Chris stand bei dem Verletzten und orderte bereits übers Telefon Hilfe an. Niemand achtete auf das panische Tier.
Bells Herzschlag setzte aus, als sie sah, dass in diesem Moment ein kleines, zierliches Mädchen aus dem großen Gebäude in den Innenhof trat.
„Pass auf…!“, rief Bell warnend und Hund bellte laut. Keine Reaktion. Das Mädchen schien die herannahende Gefahr nicht zu bemerken. Ihre Augen waren schreckerfüllt und unverwandt auf den Verletzten gerichtet, der weiter drüben im staubigen Corral lag.
Ohne einen Gedanken an die eigene Sicherheit zu verwenden setzte sich Bell in Bewegung. Bleierne Ruhe erfasste ihre Glieder. In diesem Moment wusste sie nicht, was sie tat … oder warum sie es tat. Sie hatte sich ausgeklinkt und beobachtete ihren Körper aus luftiger Höhe, irgendwo von ganz weit oben.
Blitzschnell lief sie in Richtung des Mädchens, das nun auch den Ernst der Lage erfasst hatte und sich vor Schreck nicht von der Stelle rührte. Ein gellender Schrei löste sich aus dessen Kehle.
Der Hengst
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