Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
verdanken.
Wirklich auf die Erde kehrte sie allerdings erst zurück, als sie am Stadtrand von Anastasia auf die Küstenstraße einbogen und nach Norden in Richtung Drake House fuhren. Auf der anderen Straßenseite standen ein Polizeiauto und ein Abschleppwagen mit blinkenden Warnlichtern. Polizeibeamte und ein paar Neugierige standen herum. Der Verkehr kroch an der Unfallstelle vorbei, weil die Vorbeifahrenden genau sehen wollten, was passiert war.
Ein rostiger, graublauer Volvo-Kombi hatte den Karren einer Straßenverkäuferin gerammt und war dann gegen eine Straßenmauer geschleudert. Überall lagen Blumen herum - auf der Straße, auf der Kühlerhaube und dem Dach des Wagens, unter den Rädern des Polizeiautos. Rosen und Margeriten, Nelken und Tigerlilien, Blumen in allen Farben. Es sah fast so aus, als wären sie absichtlich verstreut worden, um der Unfallstelle ihren Schrecken zu nehmen. Der Karren war zu einem erbärmlichen Häufchen Kleinholz reduziert worden, und die Verkäuferin, eine Riesin in einem hawaiianischen Bastrock und mit einer Tenniskappe auf dem Kopf, stand wie betäubt daneben.
Rachel riss entsetzt die Augen auf, als sie langsam begriff. »O Gott - das ist Mutters Wagen!«
Bryan lenkte die Chevette bereits an den Straßenrand. Sie stiegen aus und überquerten entschlossen und schweigend die Fahrbahn.
»Gehen Sie weiter«, knurrte Deputy Skreawupp monoton wie immer und starrte sie finster an. Seine Backen hingen schlaff herab wie die einer bissigen Bulldogge. Er richtete den Zeigefinger wie eine geladene Waffe auf Bryan. »Das hier ist Polizeiarbeit, Junge. Also machen Sie, daß Sie weiterkommen, sonst mach ich Sie platt wie'n Pfannkuchen. Und darauf können Sie Ihre Mutter verwetten.«
»Das Auto gehört meiner Mutter!« erklärte Rachel und quetschte sich an dem faßrunden Bauch des Polizisten vorbei.
»Diesmal hat es die verrückte Addie zu weit getrieben«, meinte er und blätterte eine Seite in seinem Notizbuch zurück. »Fahren ohne Führerschein, abgelaufene Zulassung, rücksichtslose Fahrweise, Zerstörung fremden Eigentums ...«
Rachel hörte seiner Litanei nicht zu. Der Puls hämmerte ihr in den Ohren, während sie zur Fahrertür des Volvos eilte. Addie saß auf dem Fahrersitz, hatte die Beine auf den Boden gestellt und die Gummistiefel in den Kies vergraben. Sie war so weiß wie die wachsfarbene Lilie, die unter dem Scheibenwischer klemmte. »Mutter! Mutter, ist alles in Ordnung?«
Addie schaute sie mit großen Augen an. Sie war noch benommen, und die Verwirrung, die der Unfall ausgelöst hatte, hatte ihr Denken blockiert. Sie starrte die junge Frau an, die vor ihrem Wagen hockte, und versuchte, sich auf das Gesicht des Mädchens zu konzentrieren. Addie war überzeugt, daß sie diese Frau kannte.
»Rachel?« murmelte sie unsicher. Sie zitterte vor Angst. Noch nie hatte sie sich so alt und gebrechlich ... und so ängstlich gefühlt.
»Mutter, was ist denn passiert?« fragte Rachel sanft. Sie nahm Addies kalte, dünne Hand und hielt sie fest, um ihre Mutter und sich selbst zu beruhigen.
»Ich ... weiß ... nicht mehr«, sagte Addie langsam. Sie wiegte bedächtig den Kopf hin und her, als könnte sie durch die Bewegung eine Erinnerung losschütteln.
»Ich schon«, sagte Roberta.
Bryans Tante saß immer noch angeschnallt auf dem Beifahrersitz. Das Haar stand ihr vom Kopf ab wie frische Stahlwolle. »Sie kann nicht die Bohne fahren, richtig? Wie gut, daß wir uns gegenseitig angeschnallt haben! Mein Gott!«
Wie gut, daß sie sich angeschnallt hatten, dachte Rachel kopfschüttelnd. Wie schlimm, daß beide vergessen hatten, daß Addie nicht fahren durfte.
Die Polizisten kamen, um die Aussagen der beiden Damen aufzunehmen, und Rachel entfernte sich von dem kaputten Auto. Sie schlang die Arme um ihre Brust, stellte sich an die Stützmauer und starrte auf Anastasia herab, das mit seinen viktorianischen Gebäuden und den Booten in der Bucht in all seiner Postkartenschönheit unter ihnen lag.
»Es ist niemand verletzt«, sagte Bryan, der sich zu ihr gestellt hatte. Er erwähnte lieber nicht, daß die Blumenverkäuferin ihnen eine Klage angedroht hatte. Er würde mit Alaina darüber sprechen. Rachel sah auch so mitgenommen genug aus. »Ich fürchte, Tante Roberta hat mich missverstanden , als ich ihr erklärt habe, daß Addie nicht fahren kann. Sie dachte, ich hätte gemeint, das Auto wäre kaputt. Also hat sie sich den Motor angesehen, entdeckt, daß nur das Verteilerkabel
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