Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
all das verkörperte, was ihre Mutter verabscheute. Sie liebte ihre Mutter, aber ein bisschen Rebellion gehörte zum Erwachsenwerden. Rachel hatte sich später als andere Kinder aufgelehnt, das war ihr bewusst . Doch plötzlich hatte sie es satt, daß Addie ihr ganzes Leben kontrollierte. Plötzlich war sie es leid, immer nur zu üben, immer diszipliniert zu sein, keine Freunde oder Freundinnen zu haben und ständig von Addie daran erinnert zu werden, wie hart sie für Rachels Zukunft arbeitete. Sie war aus purem Trotz in die Coffee Mill gegangen und hatte sich wild entschlossen in den gutaussehenden jungen Mann verliebt, der dort auf der kleinen Bühne Gitarre spielte.
Es schien keine fünf Jahre her zu sein. Es schien ein ganzes Leben her zu sein. Ein ganzes Leben voller enttäuschter Träume.
Terence hatte den Durchbruch nie geschafft, und Rachel hatte die Last seiner Mittelmäßigkeit tragen müssen. Terence interessierte sich nicht für Alltagskram, wie Auftritte zu buchen oder Rechnungen zu bezahlen. Vernünftig und realistisch wie sie war, hatte Rachel dafür die Verantwortung übernommen. Ihre Beziehung hatte sich langsam von einer Liebes-zu einer Freundschaftsbeziehung abgekühlt.
Ihre Liebe zu Terence Bretton war ihr zwischen den Fingern zerronnen, bis sie ihn fast zu hassen begann. Wenn man Terence glaubte, war immer jemand anderes schuld daran, daß er nicht groß rauskam. Wenn man ihm glaubte, wartete hinter jeder Straße eine goldene Gelegenheit auf ihn.
Die Nachricht von Addies Krankheit war der Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Terence hatte genau so reagiert, wie Rachel es hätte erwarten müssen. Trotzdem hatte sie bis zum letzten Moment die Hoffnung nicht aufgegeben, daß er ihr irgendwie beistehen würde, daß er irgendwie all die Enttäuschungen wettmachen würde, die er ihr im Lauf der Jahre bereitet hatte. Sie wollte von ihm nicht mehr als seine Freundschaft und seine Unterstützung. Das schien ihr nicht zuviel verlangt. Was für eine Närrin war sie doch gewesen!
»Steck sie in ein Heim.« "
»Sie ist meine Mutter.«
»Sie hat dich enterbt.«
»Sie hat mich nach Dads Tod ganz allein großgezogen. Sie hat für mich gesorgt. Ich sollte das gleiche für sie tun.«
»Wenn sie den Verstand verliert, merkt sie doch gar nicht, wer sich um sie kümmert, Rachel. Steck sie in irgendein Heim. Wir müssen unser eigenes Leben leben. Wir haben doch Pläne. Wir können jetzt nicht innehalten. Ich komme ganz groß raus, Rachel. Ich brauche dich an meiner Seite.«
»Meine Mutter braucht mich auch.«
Rachel seufzte und presste sich das Kissen auf den Bauch. Trauer stieg in ihr auf. Terence würde nie groß rauskommen. Er hatte keine Pläne, er hatte Träume, und er vergeudete seine Zeit damit, darauf zu warten, daß sie sich wie durch Zauberhand erfüllten, ohne daß er etwas dazu beizutragen brauchte. Rachel hatte am eigenen Leibe erfahren müssen, daß es keine Wunder gab.
Schließlich hatte sie sich entschieden. Das heißt, eigentlich hatte sie sich gar nicht entscheiden müssen. Von dem Augenblick an, in dem Dr. Moore sie angerufen hatte, hatte sie gewusst , daß sie zu Addie gehen würde.
J etzt war sie hier, und Addie wollte sie wieder wegschicken.
Irgendwie würde sie auch diese Hürde überwinden. Obwohl sie gekränkt und verunsichert war, war Rachel felsenfest dazu entschlossen, eine Eigenschaft, die sie zweifellos von ihrer unbeugsamen Mutter geerbt hatte. Sie würde sich irgendwie mit Addie versöhnen. Sie würde irgendwie mit Addies geistigem Verfall zu Rande kommen. Gemeinsam würden sie es schaffen, so wie damals, nachdem Verne Lindquist getötet worden war ... irgendwie. Es würde nicht angenehm werden. Es würde nicht leicht werden. Aber sie würden es schaffen. Irgendwie.
Und was war mit Bryan Hennessy?
Heftiger Schmerz durchzuckte sie, und sie presste sich das Kissen noch fester auf den Bauch. Bryan Hennessy war ein Fremder. Er hatte nichts mit ihnen beiden zu tun. Er durfte keine Rolle spielen. Sie hatte schon genug mit Addie zu tun. Eine Beziehung zu einem Mann kam gar nicht erst in Frage. Es war ihr unverständlich, warum sie überhaupt darüber nachdachte. Schließlich kannte sie Bryan Hennessy nicht. Vielleicht war er ein Betrüger, ein Mörder oder ein zweiter Terence Bretton. Seinem unverständlichen Geschwätz nach zu urteilen, war er noch schlimmer als Terence. Terence hatte wenigstens noch Ziele gehabt. Was für Ziele konnte ein Geisterjäger
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