Herbert, James - Die Brut.pdf
erdenklichen Richtungen. Also, Luke, wann kann ich mit deinem Bericht rechnen?«
»Ich wollte eigentlich heute damit anfangen, aber Jean sagte mir, du hättest eine weitere >kleine Reise< für mich in petto.«
»Was? Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Tut mir leid. Ich würde ja einen anderen schicken, aber Kempson und Aldridge müssen mir ihre Berichte schreiben. Macrae und Nolan sind im Norden. Du bist als einziger verfügbar.«
»Schon gut, es macht nichts. Was gibt's für ein Problem?«
»Am anderen Ende von London gibt es ein sogenanntes Conservation Centre, ein Institut zur Erhaltung des Waldlebens. Dort hat man ein vermehrtes Auftreten von Ratten festgestellt, und die üblichen Vertilgungsmittel scheinen nichts auszurichten. Man hält die Situation zwar nicht für besorgniserregend, doch hat man die Sache, wie es das Gesetz vorschreibt, den Behörden gemeldet. Ich möchte, dass du heute hinüberfährst und dich dort umsiehst.«
»Für diese Untersuchung brauchst du mich doch nicht.
Können das nicht die Behörden machen?«
»Ich fürchte, nein. In London reagiert man immer noch sehr empfindlich auf diese spezielle Problematik. Außerdem besagt unser Vertrag mit der Regierung, dass einer unserer Experten sich in einem Einzugsgebiet von dreißig Meilen um die Stadt um jedes Problem zu kümmern hat, das die Nagetiere betrifft.«
»Wieso haben sie uns dann nicht vor ihren Giftexperimenten gerufen?« Lehmanns Stimme klang wütend. »Sie haben die Tiere mit Warfarin resistent gemacht, indem sie Amateure einsetzten, die nicht die richtige Dosierung kannten. Nur so konnten die Ratten dagegen immun werden.«
»Sie maßen der Sache keine große Bedeutung bei, tun es auch jetzt noch nicht, sie wollten nur auf Nummer Sicher gehen.«
»Wo ist denn dieses Walderhaltungs-Zentrum?« fragte Pender. »Ich habe noch nie gehört, dass es in der Nähe von London eins gibt.«
»Das Institut existiert schon länger«, erklärte Howard.
»Es liegt im Grüngürtel, genauer gesagt in diesem Waldgebiet, das an die Außenbezirke von Ost-London grenzt: Epping Forest.«
3. Kapitel
Reverend Jonathan Matthews sah den beiden Totengräbern zu und betete still für die Dahingeschiedene. Er betreute eine Gemeinde, die aus dem üblichen Rahmen fiel, denn die meisten seiner Schäfchen waren Waldbewohner im weitesten Sinne, da nur sehr wenige auch als Forstgehilfen und -bedienstete arbeiteten. Der große Wald war wie eine Enklave inmitten der Vorstädte. Die Bäume grenzten unmittelbar an das Häusermeer aus Stein und Mörtel. Die City lag keine zehn Meilen entfernt, und dort konnte man besser bezahlte Jobs bekommen.
Einige Gemeindemitglieder bewirtschafteten die Ländereien, doch es waren nur ein paar, die sich unter den anderen fast verloren. Ihre Arbeit war hart und warf nur sehr wenig ab. Auch ein paar Waldhüter und ihre Familien gehörten zu seiner Pfarrei in High Beach. Sie waren ein Völkchen für sich, diese Walderhalter, wie der Reverend sie scherzhaft zu nennen pflegte. Ernste Männer, zumindest die meisten, mit beinahe viktorianischem Verhalten, doch ihr Einsatz für den Wald und seine Tiere war bewundernswert. Er wüsste, dass ihre Derbheit von der noch größeren Härte der Natur selbst geprägt wurde.
Die tägliche Arbeit unter freiem Himmel bei jedem Wetter und ihr ständiger Kampf für die Erhaltung des natürlichen Gleichgewichtes in diesem stadtnahen Waldgebiet hatten diesen Menschen eine Sturheit verliehen, die nur wenige verstanden und akzeptierten.
Die Kirche der Unbefleckten Jungfrau war ein sehr alter Bau, dessen Graubasalt-Kirchturm dringend der Restaurierung bedurfte. Obwohl es sich um ein kleines Gotteshaus handelte, dessen Größe gut zu seiner historischen Aura passte, wurden bei den Messen nur selten alle Plätze besetzt.
Der Reverend stand dieser Gemeinde schon so viele Jahre vor, dass er sich gar nicht mehr die Mühe machte, sie zu zählen. Er gehörte hierher, und deswegen schmerzte ihn der Verlust einer solch beständigen Kirchgängerin wie Mrs. Wilkinson tief. Selbst noch mit siebenundachtzig Jahren ein aktives Gemeindemitglied, hatte sie keine Sonntagsmesse oder Morgenandacht ausgelassen. Ihre tätige Mithilfe bei der Gemeindearbeit war selbst in ihren letzten Jahren ein leuchtendes Vorbild christlichen Denkens gewesen.
An der Beisetzung vor einer Stunde hatten viele Leute teilgenommen, um der allseits angesehenen, beliebten Mrs. Wilkinson die letzte Ehre zu erweisen. Jetzt aber war
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