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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Stimmen die, da und da und da – neue bei jeder Wendung – aus dem wandernden Wasser kommen. Stille. Und mit einer leisen Gebärde breitete er den zartesten Stoff vor uns aus, der aus allen diesen Lauten gewoben ist, – das unendlich weiche Gewebe, das den ganzen Wald zusammenhält. Da erwachte in mir das Gedicht, das also eigentlich (wie Sie sehen) sein Gedicht ist, Jimmy's Gedicht, eines seiner schönen lebendigen Gedichte. Ich gab es ihm nur zurück als ich ihm, eine Stunde später, an einem entlegenen Platze über dem Ramsee diese Verse las.
    Und nun, meine liebe Ellen Key, geben wir Ihnen (wir vier) diese Verse; fast ist es mir, als müssten Sie sie schon kennen: ist es möglich, dass Sie nicht mitten unter uns gewesen sind, als ich sie unter der grossen Fichte las? Ja Sie waren bei uns; und das Gedicht ist ein Zeichen auch dafür, dass Sie bei uns waren. Hier ist es:
    Â 
    Oben wo die grossen Stimmen wohnen,
in den Kronen dieser hohen Föhren,
kann ich auch mein leises Leben hören,
grösser, um unendliches vermehrt.
Aber unten fügt an jeder Stelle

aus des Baches wechselndem Gefälle
sich ein Reden ein, das von der Schwelle
einer Stille sich mir zugekehrt.
    Und so geh ich einsam, ohne Mund
zwischen helleren und dunklen Munden, –
mit des Lebens weitem Hintergrund
durch mein leisestes Gefühl verbunden.
Eine Grösse, die nicht von mir weiss,
(und ich stürbe wenn ich sie verstände)
wächst von ferne bis in meine Hände
und sie schliesst sich wie ein Sagenkreis.
    Rainer Maria.     
    Â 
    Key (2. 10. 1904), 105-107
    Spaziergang
    Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an –
    und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
Wir aber spüren nur den Gegenwind.
    Werke II , 161
    Â 
    Â 
    Regengeräusch und Stundenschlagen: daraus wird ein Muster, ein sonntägliches. Wüßte mans nicht: es muß Sonntag sein. So hört sichs in meiner stillen Straße an. Aber wie sehr war es Sonntag, in dem alten Adelsviertel, durch das ich heute morgen ging. Die alten verschlossenen Hotels im Faubourg Saint-Germain mit ihren weißgrauen Fensterläden, den diskreten Gärten und Höfen, den hinter den Stäben dichtgemachten Gittertoren und schweren gut schließenden Eingängen. Einige waren sehr hochmütig und anspruchsvoll und unzugänglich. Das mochten die Talleyrands gewesen sein, die De La Rochefoucaulds, unerreichbare Herrschaften. Aber dann kam eine ebenso stille Straße mit etwas kleineren Häusern, nicht weniger vornehm in ihrer Art und durchaus zurückhaltend. Das eine Tor war im Begriffe zuzugehen; ein Diener in Morgenlivree wandte sich noch einmal zurück und sah mich aufmerksam und nachdenklich an. Und in demselben Augenblick war mir, als müsste nur eine Kleinigkeit irgendwann anders gewesen sein, damit er einen erkennte und zurückträte und die Tür offenhielte. Damit da oben eine alte Dame wäre, eine Grand'mère, die es möglich machte, ihren Lieblingsenkel selbst zu dieser frühen Stunde zu empfangen. Mit einem Lächeln, selber ein wenig zärtlich, richtete es die vertraute Kammerfrau aus und ginge vor einem her durch die verhangene Zimmerflucht, innerlich zurückgewendet und eilend aus Eifer und aus Beunruhigung, vorangehen zu müssen. Ein Fremder begriffe nichts bei solchem Durchgehen; aber man empfände die Gegenwart all der zusammenhangsvollen Dinge: den Blick der Bildnisse, die Zifferblätter der Spieluhren und den Inhalt der Spiegel, in denen die klare Essenz diese Dämmerung aufbewahrt wird. Man hätte in einer Sekunde die lichten Salons wiedererkannt, die ganz hell sind innerhalb des Dunkels. Und den einen Raum, der dunkler
scheint, weil das Familiensilber hinten alles Licht an sich genommen hat. Und die Feierlichkeit von alledem ginge auf einen über und bereitete einen vorsichtig vor auf die alte Dame in violettem Weiß, die man sich von einem Mal zum anderen nicht vorstellen kann, weil so vieles zu ihr gehört – – –
    Ich ging so durch die stille Straße und war noch immer bei meinen Einbildungen, als ich im Schaufenster eines Confiseurs in der rue de Bourgogne altes schönes

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