Herbst
wollten sie über der Oberfläche
des Todes bleiben.
Ihre Gebärde geht durch das Haus
als wenn überall Spiegel hingen;
und sie geben â mit diesem Graben
mit ihre Haaren â Kräfte aus,
die sie in Jahren gesammelt haben,
âwelche vergingen .
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In solchen Nächten wächst mein Schwesterlein,
das vor mir war und vor mir starb, ganz klein.
Viel solche Nächte waren schon seither:
Sie muà schon schön sein. Bald wird irgendwer
âsie frein.
Werke I , 460-464
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Nun erst ist die groÃe Birke, die man von den Fenstern Furuborgs aus vor der Seeferne hängen sah, leer; nun erst sind alle Wege ganz zugedeckt mit Blättern, nun erst sieht man weithin das weiÃe Haus. Braun ist alles, rötlichbraun und braun in braun. Zwischendurch sieht man blaÃgrüne Wiesenstreifen, und die Föhren und Tannen haben ein dunkles dichtes Winterkleid-Grün. Nur dann und wann wird eine ganz goldene Birke hoch über alles hinaufgehoben, wie ein Monstranz, in den Sonnenuntergang hinein â¦
Briefe 1902-1906 (Clara Rilke, 28. 10. 1904), 225
Herbst
Oh hoher Baum des Schauns, der sich entlaubt:
nun heiÃts gewachsen sein dem ÃbermaÃe
von Himmel, das durch seine Ãste bricht.
Erfüllt vom Sommer, schien er tief und dicht,
uns beinah denkend, ein vertrautes Haupt.
Nun wird sein ganzes Innere zur StraÃe
des Himmels. Und der Himmel kennt uns nicht.
Ein ÃuÃerstes: daà wir wie Vogelflug
uns werfen durch das neue Aufgetane,
das uns verleugnet mit dem Recht des Raums,
der nur mit Welten umgeht. Unsres Saums
Wellen-Gefühle suchen nach Bezug
und trösten sich im Offenen als Fahne â
.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.â.
Aber ein Heimweh meint das Haupt des Baums.
Werke II , 180
Der Schauende
Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
die aus laugewordenen Tagen
an meine ängstlichen Fenster schlagen,
und höre die Fernen Dinge sagen,
die ich nicht ohne Freund ertragen,
nicht ohne Schwester lieben kann.
Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
geht durch den Wald und durch die Zeit,
und alles ist wie ohne Alter:
die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
Wie ist das klein, womit wir ringen,
was mit uns ringt, wie ist das groÃ;
lieÃen wir, ähnlicher den Dingen,
uns so vom groÃen Sturm bezwingen, â
wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine,
und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine
will nicht von uns gebogen sein.
Das ist der Engel, der den Ringern
des Alten Testaments erschien:
wenn seiner Widersacher Sehnen
im Kampfe sich metallen dehnen,
fühlt er sie unter seinen Fingern
wie Saiten tiefer Melodien.
Wen dieser Engel überwand,
welcher so oft auf Kampf verzichtet,
der geht gerecht und aufgerichtet
und groà aus jener harten Hand,
die sich, wie formend, an ihn schmiegte.
Die Siege laden ihn nicht ein.
Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
von immer GröÃerem zu sein.
Werke I , 459f.
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Liebe Ellen Key, nun ist es Sonntag Abend geworden; man hat die Lampen angezündet und im Kamin brennt ein kleines Feuer; brennt, lebt und duftet. Es wärmt nicht weithin, ist fast nur wie ein Opfer so still und so mit sich selbst beschäftigt, in sein eigenes Brennen versunken, ganz erfüllt davon. Und wir sitzen beisammen und sind voller Nachklang unseres Gehens und voll Erinnerung an Fähren und Fichten und Wege und Wasserläufe; das Durcheinanderklingen der herbstlichen und herbstlicheren Farben lebt noch in uns und die Schwere schwarzer Fichtenäste und einer goldenen Birke spielende Leichtigkeit geht uns noch nach.
Lang war dieser Gang, wie ein ganzes Leben so voll Erfahrung und Fügung, Ferne und Nähe â¦
Hinter dem weiÃen Hause, das Furuborg gegenüber auf der Anhöhe liegt, gingen wir in den grossen Wald hinein; seine Tiefe begann gleich an seinem Rand, und erst kamen wir sprechend hinein; aber Sie wissen, wie Ihr lieber Freund (den wir so sehr auch als unseren Freund fühlen) zu lauschen versteht; er war der Stillste unter uns, der Wissendste, der uns führte; erst zu dem grossen Geräusch, das durch die Wipfel der erwachsenen Bäume geht, dann, den ganzen fallenden Bach entlang, zu den kleinen
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