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Herbst

Herbst

Titel: Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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bringen: man würde eben Dinge sehen und machen aus dieser Verfassung heraus. (Es war eine ähnliche in Schmargendorf, die mich einstmals,
ganz unerwartet, wie ich erinnere, die Blätter aus einer Sturmnacht schreiben ließ an einem einzigen Abend.) Aber man ist ja noch immer so weit vom Immer-Arbeiten-Können. Van Gogh konnte vielleicht die Fassung verlieren, aber die Arbeit war noch hinter der Fassung, aus ihr konnte er nicht mehr herausfallen. Und Rodin, wenn er unwohl ist, ist ganz nah an der Arbeit, schreibt schöne Sachen auf unzählige Zettel, liest Platon und denkt ihm nach. Mir ahnt aber, daß das nicht bloß Erziehung ist und Zwang, so zur Arbeit zu sein (es würde sonst ermüden, wie es mich die letzten Wochen ermüdet hat); es ist lauter Freude; es ist das natürliche Wohlsein in diesem Einen, an das nichts anderes heranreicht. Vielleicht muß man deutlicher noch die »Aufgabe« einsehen, die man hat, greifbarer noch, in Hunderten von Einzelheiten erkennbar. Ich fühle ja wohl, was van Gogh an einer gewissen Stelle gefühlt haben muß, und fühle stark und groß: daß alles noch zu machen ist: alles. Aber die Zuwendung zum Nächsten gelingt mir nicht, oder doch nur in den besten Momenten, während sie einem grade in den schlechtesten am nötigsten ist. Van Gogh konnte ein Intérieur d'Hôpital machen und malte in den bangsten Tagen die bangsten Gegenstände. Wie hätte er sonst überstanden. Dazu muß man kommen und, das fühl ich wohl, nicht mit Zwang. Aus Einsicht, aus Lust, aus Nicht-Aufschieben-Können, in Anbetracht des vielen, was zu machen ist. Ach, daß man nicht Erinnerungen hätte an Nicht-Gearbeitet-Haben, die immer noch wohltun. Erinnerungen an Stilliegen und Sichwohltunlassen. Erinnerungen an durchgewartete Stunden, über dem Blättern in alten Abbildungen, über dem Lesen irgendwelcher Romane –: und solche Erinnerungen haufenweise bis in die Kindheit hinein. Ganze Gebiete des Lebens verloren, selbst für das Wiedererzählen verloren durch die Verführung, die immer noch
von ihrer Müßigkeit ausgehen kann. Warum? Hätte man nur Arbeitserinnerungen von früh an: wie fest wäre es unter einem; man stünde. So aber sackt man jeden Moment wo hinein. Daß es so auch in einem: zwei Welt ist, das ist das Schlimmste. Manchmal gehe ich an kleinen Läden vorbei in der rue de Seine etwa. Händler mit Altsachen oder kleine Buchantiquare oder Kupferstichverkäufer mit überfüllten Schaufenstern. Nie tritt jemand bei ihnen ein, sie machen offenbar keine Geschäfte. Sieht man aber hinein, so sitzen sie, sitzen und lesen, unbesorgt; sorgen nicht um morgen, ängstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hund, der vor ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille noch größer macht, indem sie die Bücherreihen entlang streicht, als wischte sie die Namen von den Rücken.
    Ach, wenn das genügte: ich wünschte manchmal, mir so ein volles Schaufenster zu kaufen und mich mit einem Hund dahinterzusetzen für zwanzig Jahre. Am Abend wäre Licht in der Hinterstube, vorn alles ganz dunkel, und wir säßen zu dritt und äßen, hinten; ich habe bemerkt, von der Straße aus gesehen, nimmt sich das wie ein Abendmahl aus jedesmal, so groß und feierlich durch den dunklen Raum.
    Briefe I (Clara Rilke, 4. 10. 1907), 180-182
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    Mein Verhängnis, immer das gleiche, schließt mich manchmal so völlig ein und ab, daß ich wie unter einem Schutthaufen athme und nur durch kleine Fugen hinaussehe in's Offene und Harmlose; aber man sagt ja, wer in einen trockenen Brunnen gefallen ist, sehe aus dem Loch unten, wenn er nur die Gleichmuth hat und den Einfall ruhig hinaufzusehen, die Sterne in eigenthümlicher Klarheit. Und manch
mal seh ich sie wirklich, von dem Zufall meines Elends aus, eigenthümlich klar. Sehe und erkenne überhaupt vieles und Herrlichstes, aber so seltsam über mich fort und so, daß es mir nicht zur Hülfe ausschlägt. Alles aber, was ich zu meiner eigenen Rettung überlege, Paris nicht ausgenommen, scheint mir zu neuen Konflikten zu führen und zu Zerstreuungen, die ich irgendwie noch mehr fürchte, als diese Heimsuchung, die ja nur entstanden ist, weil ich mich vor anderen Möglichkeiten sichern und schützen wollte … Die Hülfe, wenn mir eine gewährt sein soll, müßte aus derselben Quelle

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