Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Busch
Vom Netzwerk:
Jedes Mal, wenn ich mich durch eine Hustenattacke quäle, scheinen die Ratten bewegungslos zu verharren, bis ich mich gefangen habe. Danach kratzen ihre spitzen Krallen aufgeregt über den Beton. Wenigstens knabbern die kleinen Biester nicht an uns.
    Ab und an versinke ich in eine Art Dämmerzustand, aus dem ich dann dank des unheimlichen Flüsterns aufschrecke. In diesen Momenten scheint mein Herz direkt zwischen meinen Ohren zu schlagen, so laut höre ich es arbeiten.
    Ich habe keine Ahnung wie viel Zeit seit unserer unrühmlichen Begegnung mit dem Nolte vergangen ist. Vielleicht ist der nächste Tag mittlerweile angebrochen und er taucht jede Sekunde hier auf. Bislang habe ich jeglichen Gedanken an sein dubioses Spiel verdrängt. Immerhin ist der Inhalt der verschwundenen Tüte längst nicht vergessen. Auch nicht der tote Ingo, der verstümmelt in seinen Ketten hängt und aus seinen entseelten Augen zu uns hinüber stiert. Oder die skelettierte Hand, die so grotesk aus dem Leichenstapel ragt ...
    Ein neuerlicher Hustenanfall steigt in meinem Hals auf. Ich versuche locker zu bleiben und nicht panisch zu werden. An seinem Knebeltape vorbei brummelt Bo mir etwas Aufmunterndes zu. Mein ganzer Brustkorb wird dank meines krampfhaften Gekeuches traktiert. Mir kommt in den Sinn, dass ich Noltes Spiel gar nicht erst kennenlernen werde, wenn das blöde Gehuste nicht bald aufhört. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die Attacke nachlässt. Inzwischen fühle ich mich wie ausgeschissen. Mein Körper ist ein einziger brennender Schmerz und mein Halsweh meldet sich eifrig bei jedem trockenen Schlucken. In meinem entzündeten Rachen sammelt sich bereits der erste zähe Schleim. Ich könnte eine Kochsalzlösung zum Gurgeln gebrauchen. Bo hmpft mir etwas Unverständliches zu und schmiegt seine Wange an mein Gesicht. Himmelherrgottnochmal, Tweety! Hättest du man auf den Nolte geschossen, als du dazu die Gelegenheit hattest.

Freitag, 12. November
    11:57 Uhr
    Etwas quietscht laut und unangenehm. Bo fährt so abrupt in die Höhe, dass ich meinen Halt verliere, auf den Betonboden klatsche und jaule, weil ich genau mit dem verletzten Arm aufschlage. Bevor ich groß überlegen kann, ob meine Schussverletzung jetzt wieder blutet, höre ich Schritte. Im Nu sitze ich ebenfalls senkrecht, wobei ich den sich zurückmeldenden Schmerz in meinem Arm zu ignorieren versuche. Das Geräusch von Schuhsohlen auf Beton nähert sich. Dass ich nichts sehen kann, macht mich ganz unruhig. Die Schritte halten vor uns und einen Moment lang ist es totenstill. Viel zu still.
    „Ein neuer Tag, ein neues Spiel“, sagt plötzlich eine Stimme. Nolte! Er ist also wieder da. Neben mir knurrt Bo wütend. Nolte lacht bloß und ich höre, wie er an mir vorbeiläuft. Gleich darauf ertönt ein Klicken. Sicherlich hat er die Campingleuchte eingeschaltet, denn er wird sein Spiel nicht ohne ausreichend Licht beginnen wollen. Die Schritte kommen zurück, und wenn ich meinen Ohren trauen darf, bleibt der Nolte direkt vor mir stehen. Plötzlich spüre ich seine Finger an meiner Wange.
    „Hallo, Robin. Hast du dich schon auf mich gefreut?“
    Na klar und wie. Wenn ich nicht gefesselt wäre, dann würde ich mich vor Begeisterung überschlagen. Außerdem scheinen wir plötzlich beim Du zu sein, als hätten wir gemeinsam Schweine gehütet. In dem Versuch Nolte auszuweichen, drehe ich den Kopf zur Seite. Seine Berührung wirkt auf mich, als würde eine Nacktschnecke über meine Haut kriechen. Also rutsche ich dichter an Bo heran, der mich die ganze Zeit über hektisch mit der Schulter anstößt. Noltes Hand verschwindet aus meinem Gesicht und kurz darauf ächzt Bo an meiner Seite mir auf. Was passiert da? Kühles Metall berührt mich unmittelbar darauf unter meinem Jochbein und gleitet unter das Tape, das mir den Mund zuklebt. Ich fühle, wie das verdammte Gewebeband zertrennt wird. Anschließend reißt Nolte es mit einem heftigen Ruck ab.
    „Au!“ Meine Lippen hängen bestimmt komplett an dem Tape. Der verbliebene Rest in meinem Gesicht beginnt zu bluten. Aber das ist mir egal. Gierig schnappe ich nach Luft, huste, krächze und versuche gleichzeitig mit Bo zu reden: „Bo? Bo? Bo, sprich mit mir.“
    „Einer ist blind und der andere stumm, Robin. So lauten die Spielregeln.“ Nolte hantiert in der Nähe mit etwas Metallischem herum. Ich kann hören, wie Eisen oder Stahl aufeinander schlägt. Bo neben mir wirkt ganz verkrampft.
    „Bist du in Ordnung?“, frage ich

Weitere Kostenlose Bücher